Hanna macht mit ihrem Ex-Mann und den Schwiegereltern Urlaub in der Dominikanischen Republik. Eines Nachts dringen Einbrecher in ihr Haus ein. Hannas Schwiegervater wird angeschossen und droht zu sterben. Zurück zuhause will Hanna einfach alles vergessen und das Trauma nicht ihr Leben bestimmen lassen. Es dauert lange, bis sie darüber reden kann.
Anmerkung: Dieser Text ist die Grundlage für einen Radiobeitrag. Der beinhaltet Betonungen und Gefühle, die bei der reinen Lektüre nicht unbedingt rüberkommen. Außerdem weichen die gesprochenen Worte manchmal vom Skript ab. Darum lohnt es sich, auch das Audio zu diesem Text zu hören.
Hanna: "Das war schön, die hatten sich das selber gebaut, ein kleiner Pool direkt am Haus und ansonsten war weit und breit: Grün, Palmen, Bananenbäume – ich musste immer an Jurassic Park denken. Wenn wir morgens aufgestanden sind, dann bin ich immer auf die Terrasse gegangen, ganz früh, wenn es dann hell wurde und hab da den irre leckersten Kaffee meines Lebens getrunken und dann da rausgeguckt in das Grüne und es war so still. Und das war irre schön. (...) Irgendwie auch so, denke ich gerade, so ein krasser Gegensatz zu dem, was danach passiert ist, wo es sich dann ja komplett gedreht hat alles."
Ich sitze mit Hanna in ihrem Wohnzimmer in Bonn und es ist Dezember. Draußen ist der Himmel so komisch weiß, dass alles irgendwie grau aussieht. Aber als Hanna anfängt zu erzählen, hab ich sofort ein Bild im Kopf – und das sieht fast genauso aus wie das Poster von Frida Kahlo, das hier über dem Sofa an der Wand hängt. Kahlo hat sich selbst gemalt. Sie steht da mit halb nacktem Oberkörper vor dem sich grün rankenden Dschungel. Sie hat eine Tasse Kaffee in der einen Hand und eine Zigarette in der anderen Hand.
Carolin: „Dieses Bild da...“
Hanna: "Stimmt. (...) Ja geraucht hab ich auch immer. Krass, ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich hab das ausgesucht, weil ich Frida Kahlo total faszinierend finde, aber auch das Motiv total cool fand. (...) Ich glaube, das habe ich wenn dann unterbewusst irgendwie ausgesucht. Aber, mein Freund sagt das auch ab und zu: 'Du hast es aber auch mit der Karibik.' Ich glaub, das ist was Unbewusstes."
Hanna hat Kaffee und Schokolade zwischen uns auf den Tisch gestellt. Sie ist eine sehr aufmerksame Frau. Mitte 30, blond, blaue Augen. Sehr schön, auf eine mädchenhafte Weise irgendwie. Sie will mir jetzt was erzählen, was sie anderen Leuten eigentlich nie jemandem erzählt. Ab indem sie mir das jetzt erzählt, erzählt sie es eigentlich ganz vielen Leuten. Das ist paradox irgendwie. Sie hat sich sogar per E-Mail bei uns gemeldet. Warum also, macht sie das jetzt? Warum erzählt sie davon?
"Häufig siehst du ja immer das was du sehen sollst, und was die Menschen dich auch gern sehen lassen möchten, und machst dir daraufhin ein Bild, aber dieses Bild ist so falsch."
Hanna: "Erst einmal habe ich jetzt nochmal die Möglichkeit dass ich ganz schön finde, das zu erzählen ohne dass da so eine direkte Reaktion darauf kommt. Ich erzähle das jetzt nicht wieder meiner Familie und muss Angst haben oder damit rechnen, dass sich jetzt jemand von mir abwendet, dem das zu viel ist. (...) Das andere ist (...) Ich bin mir ganz sicher, dass jeder Mensch seine Geschichte hat und ein Päckchen zu tragen hat. Aber die Menschen, denen es einfach immer gut geht und die einfach immer Glück haben, die gibt es nicht, glaube ich nicht. Denn häufig siehst du ja immer das was, du sehen sollst, und was die Menschen dich auch gern sehen lassen möchten, und machst dir daraufhin ein Bild, aber dieses Bild ist so falsch. Wo ich mir auch selber dann sagen muss: Die Leute haben eine Geschichte von der du keine Ahnung hast und dir nicht ansatzweise anmaßen kannst ein Urteil zu fällen."
Diese Geschichte, die Hannas Leben für immer verändert hat, liegt jetzt über zehn Jahre zurück. Zu ihrem Ex-Mann und seinen Eltern hat sie keinen Kontakt mehr. Aber was sie damals erlebt hat und wie sie es erlebt hat, möchte sie erzählen. Als sie anfängt wirkt sie, als würde das alles vor dem inneren Auge wieder ablaufen: Würde sie die Strände wieder sehen, die Musik wieder hören. Als wäre sie wieder richtig da in der Dominikanischen Republik.
Hanna: "Wir waren ganz viel Schwimmen. Entweder wir sind an manchen Tagen oben im Haus geblieben, da haben wir uns dann an den Pool gelegt. Ich habe mir an einem Tag den Sonnenbrand meines Lebens geholt mit ganz schlimmen Brandblasen auf den Füßen. Oder wir sind runtergefahren nach Cabarete und sind dann noch da schwimmen gegangen. (...) Um sechs war es da schon dunkel und die Sonne ging auch früher auf. Wir sind da eigentlich mit den Hühnern ins Bett gegangen, waren auch kaputt vom Tag und unseren Aktivitäten, sind ganz früh wieder aufgestanden. An dem Abend war das anders. Ich weiß gar nicht mehr so genau warum. Auf jeden Fall haben wir aber mit der Mutter meines damaligen Mannes im Wohnzimmer gesessen. Der Schwiegervater hatte sich mit Kopfschmerzen in dass Schlafzimmer zurückgezogen."
"Ich weiß, dass wir kurz aufgehorcht haben und dann haben wir sogar noch drüber gesprochen, was das jetzt sein könnte. Keiner von uns hat sich in irgendeiner Form Sorgen darüber gemacht, dass das jetzt irgendwas Gefährliches sein könnte."
Hanna: "Es gab halt relativ viel Getier da oben im Wald eben auch um das Haus herum. Da ist es schon öfter mal passiert, dass dann irgendwie auf einmal eine Kröte in der Küche saß oder irgendwie größere Spinnen im Badezimmer dann tot gesprüht werden mussten und an dem Abend haben wir ja irgendwann ein Geräusch gehört. In meiner Vorstellung war das ein Geräusch davon, als ob ein Tier gegen das Fliegengitter vom Fenster oder von der Tür springt. So hat sich das für mich angehört und ich weiß, dass wir so kurz aufgehorcht haben und dann haben wir da sogar noch drüber gesprochen, was das jetzt sein könnte. Keiner von uns hat sich in irgendeiner Form Sorgen darüber gemacht, dass das jetzt irgendwas Gefährliches sein könnte."
Drei Männer stürmen ins Haus – Schüsse fallen
Hanna: "Also eigentlich sind die so reingeplatzt. Die müssen durch den Flur geschlichen sein, was wir auch nicht mitbekommen haben, das erste Mal als nach meiner Erinnerung ich sie gesehen habe (...), war als auf einmal wirklich plötzlich drei Männer im Wohnzimmer standen. Drei Dominikaner. Ein großer, kräftiger Dominikaner, der so eine Maske trug und der so ne Machete in der Hand trug – das sind ja diese langen, großen Messer. Dann ein etwas kleinerer, dünnerer Dominikaner, der auch nicht maskiert war, der auch ne Machete hatte. Und ein dritter Dominikaner, der ganz dünn war, ganz schmächtig, und der hatte ne Perücke auf und der hatte ne Pistole in der Hand. Und die haben uns angeschrien auf Spanisch. Und ich weiß, dass mir das in diesem ersten Moment völlig absurd vorkam und ich in den ersten zwei, drei Sekunden gedacht habe: Das ist hier ein Theaterstück. Das ist Quatsch. Auch weil es so absurd war, weil der kleinste Dominikaner mit der Waffe, der diese Perücke trug, die Haare, also, die sind so büschelweise auf den Boden gefallen. Wirklich wie, als ob die drei auf so ner Bühne stehen und das ein ganz schlechtes Schauspiel ist. Und dann weiß ich, dass meine Schwiegermutter angefangen hat zu schreien."
"Ich weiß, dass mir das in diesem ersten Moment völlig absurd vorkam und ich in den ersten zwei, drei Sekunden gedacht habe: Das ist hier ein Theaterstück. Das ist Quatsch."
Hanna: "Ja dann haben die immer weiter auf Spanisch gebrüllt. Der Unmaskierte etwas kleinere mit der Machete der gestikulierte mir immer zu, dass ich nicht schreien soll, legte immer den Finger auf die Lippen und guckte mich immer so beschwörend an. (...) Ich konnte auch gar nichts machen, ich konnte mich nicht bewegen. Genau die (Schwiegermutter) (...) hatte die Handtasche bei sich stehen und hat die dann mit so einem großen Schwung (...) einmal so über die Fliesen schlittern lassen zu denen rüber und dann haben sie die Handtasche genommen und sind Richtung Hinterausgang gegangen. (...) Eigentlich war das schon so der Punkt, an dem man hätte vielleicht aufatmen können. Das finde ich im Nachhinein auch immer so irritierend, dass ich immer so denke die Geschichte hätte vorbei sein können. (...) Und dann, das Nächste was passiert ist, dass zwei Schüsse gefallen sind. (...) Und dann haben wir meinen damaligen Schwiegervater schreien hören und er hat immer geschrien 'Die haben mich erschossen!' Mehrmals hintereinander und das fand ich auch so absurd dass er nicht gesagt hat: Die haben mich getroffen oder die haben mich angeschossen, sondern die haben mich erschossen."
"Und dann haben wir meinen damaligen Schwiegervater schreien hören und er hat immer geschrien 'Die haben mich erschossen!'"
Die drei Einbrecher nehmen das Auto von Hannas Schwiegereltern und fliehen. Sie sollen in der Nacht noch den Wachmann einer Fast-Food-Filiale erschossen haben – das hat Hannas Schwiegermutter später wohl von der Polizei gehört. Und auch dass das Auto gefunden wurde, ein paar Wochen später, mit Geld und Drogen drin. Hanna ist zu dem Zeitpunkt wieder in Deutschland und würde das alles am liebsten vergessen.
Hanna: "Ich habe versucht das auszublenden und mein ganz normales Leben zu leben. Ich habe viel gearbeitet, habe versucht mich abzulenken und merkte aber schon so mit der Zeit, dass ich angefangen habe die Dunkelheit zu meiden. Ich bin nicht mehr rausgegangen wenn es dunkel war. Ich habe keine Freunde getroffen, wenn ich durch die Dunkelheit musste, ich bin nicht auf Veranstaltungen gegangen, wenn ich da irgendwie in die Gefahr geraten wäre im Dunkeln irgendwo zu sein. Das war ja auch so, dass ich nachts immer wieder alles was da passiert war (...), dass ich das immer wieder durchspielen musste im Kopf. Immer wieder durchgehen von Anfang bis Ende und nochmal und nochmal und nochmal und nochmal."
Hannas Schwiegervater muss ins Krankenhaus
Die Schreie im Wohnzimmer müssen Hannas Schwiegervater geweckt haben. Der ist dann wohl durch den Flur, ohne zu wissen, was los war, direkt auf die Einbrecher zu - und die haben geschossen und sind weg.
Und Hannas Schwiegervater liegt da auf dem Boden. Ein Schuss hat ihn in die Brust getroffen, ein anderer ins Handgelenk. Er blutet wie irre. Und, so erzählt Hanna das, in der Dominikanischen Republik kann man nachts in einem Bergdorf nicht mal eben einen Notarzt rufen. Also versuchen sie die Blutung mit einem T-Shirt und einem Gürtel zu stoppen. Hiefen den Vater auf die Ladefläche von dem Wagen der Baufirma, der zum Glück noch da ist. Und rasen den Berg runter zur Krankenstation im nächsten Küstenstädtchen.
Hanna: "Vorne gesessen, mein Ex-Mannes ist gefahren durch den Wald. Wieder 20, 25 Minuten durch die Nacht da runter. Er hat das gut gemacht. Ich habe aber auch immer Angst gehabt, weil er natürlich auch wahnsinnig schnell war. Er hatte seinen sterbenden Vater im Auto, hab ich immer gedacht: Wir sterben hier alle. (...) Und dann haben wir auch den Schwiegervater immer angebrüllt zwischendurch haben immer seinen Namen gerufen und er hat dann von hinten immer so klägliche Laute von sich gegeben, sodass wir aber zumindest wussten, er ist irgendwie noch bei Bewusstsein."
"Er hatte seinen sterbenden Vater im Auto, hab ich immer gedacht: 'Wir sterben hier alle'."
Als sie bei der Krankenstation ankommen, wird er sofort von den Schwestern versorgt. Er hat einen Lungendurchschuss erlitten, die Lunge ist mit Flüssigkeit vollgelaufen. Und es ist kein Arzt da, der ihn behandeln kann. Sie müssen ihn in den nächstgrößeren Ort in ein Krankenhaus bringen. Er wird auf einen anderen Pick-up verfrachtet, Hanna und ihr Mann sitzen neben ihn gesetzt und dann halten sie abwechselnd den Tropf hoch, während sie weiter durch die Nacht kurven.
Hanna: "Ich weiß noch, dass mein Ex-Mann sich fürchterlich übergeben hat. Von der Ladefläche runter. Mit Sicherheit war alles zu viel. Ich kann mich dran erinnern dass ich auf dieser Fahrt dachte: das, was du gerade erlebst... dafür geht es dir gerade echt gut. Und mich so ein bisschen gewundert habe. Und dann habe ich aber auch relativ schnell gedacht: Nee, das ist aber nur jetzt, das ist jetzt gerade dein Adrenalinspiegel. Das hier, das hat Auswirkungen auf dein ganzes Leben."
"Und dann habe ich aber auch relativ schnell gedacht: Nee, das ist aber nur jetzt, das ist jetzt gerade dein Adrenalinspiegel. Das hier, das hat Auswirkungen auf dein ganzes Leben."
Zurück in Deutschland läuft alles wie gewohnt, bis Hanna zusammenbricht
Eine Woche nach dem Überfall reist Hanna mit ihrem Ex-Mann zurück nach Deutschland. Und macht einfach weiter. Sie stürzt sich in ihre Arbeit als Rechtsanwaltsgehilfin. Und auch mit ihrem Ex-Mann redet sie nicht darüber, was passiert ist. Sie will dem, was passiert ist, einfach keine Macht über ihr Leben geben. Ungefähr ein Jahr später ist Hanna mit Arbeitskollegen in Istanbul. Eine Reise von der Firma, ein Dankeschön. Sie schauen sich zusammen die Stadt an, lassen sich über einen Bazar treiben. Und dort, inmitten dieser vielen Menschen, klappt Hanna plötzlich zusammen.
Hanna: "Ich hab so ein Knall im Kopf gehört oder empfunden. Kann ich gar nicht so differenzieren. Ich hatte das Gefühl dass mir die Knie weg gehen, was mir total schwindlig ist und bin dann auch so zusammengesackt (...) ich konnte nicht mehr weitergehen und ich weiß, dass ich da auf dem Boden lag und dann in seinem Zelt und mir da irgendwie Orangensaft gebracht wurde und ich hab denn da noch kippt und der ist über den Boden gelaufen und ich wusste nicht was los war. Ich weiß dass ich zwischendurch öfter gedacht habe: Ich hab vielleicht Diabetes, dass ich zuckerkrank bin. Ich deswegen so alt Anfälle hab irgendwie. Ich hab mir da irgendwas zurecht gebogen. Auf jeden Fall, dass das eine körperliche Ursache hat."
"Ich weiß dass ich zwischendurch öfter gedacht habe: Ich hab vielleicht Diabetes, dass ich zuckerkrank bin. Ich deswegen so alt Anfälle hab irgendwie. Ich hab mir da irgendwas zurecht gebogen. Auf jeden Fall, dass das eine körperliche Ursache hat."
Auch als Hanna wieder zuhause ist, bricht sie immer wieder zusammen. Wenn sie von vielen Leuten umgeben ist oder wenn sie ein Geschäft betritt. Dann wird auch meist der Krankenwagen gerufen. Es wird auch schwierig für sie, zur Arbeit zu gehen. Sie hat immer wieder Schwindelanfälle, fühlt sich ganz schwach und glaubt, in Ohnmacht zu fallen. Sie lässt sich immer wieder untersuchen – aber die Ärzte finden nichts. Dass es einen Zusammenhang mit dem Überfall geben könnte – darauf kommt sie gar nicht.
Hanna: "Irgendwann weiß ich noch, kam der Oberarzt zu mir in einer Situation und sagte: Sie haben körperlich nichts. Und sie sollten darüber nachdenken ihre Lebenssituation ihrer Belastbarkeit anzupassen. Das war für mich ein Schlag ins Gesicht weil da war es schon so, dass ich gedacht habe: Was weißt du denn (...) darüber wie belastbar ich sein kann."
"Irgendwann weiß ich noch, kam der Oberarzt zu mir in einer Situation und sagte: 'Sie haben körperlich nichts. Und sie sollten darüber nachdenken ihre Lebenssituation ihrer Belastbarkeit anzupassen.'"
In der Nacht des Überfalls musste Hanna immer wieder stark sein
Was sie damit meint, ist, dass sie ihre Belastbarkeit ja genau in dieser einen Nacht in der Dominikanischen Republik bewiesen hat. Als sie nämlich, also Hanna, ihre Schwiegermutter und ihr Ex-Mann, mit dem Schwiegervater auf dem Pick-up in dem Krankenhaus angekommen waren: Da hat der Schwiegervater sehr viel Blut verloren. Und er braucht jetzt Blutkonserven. Und die gibt es in dem Krankenhaus nicht. Die müssen besorgt werden, in der nächstgrößeren Stadt, in Santiago. Hanna und ihr Mann sollen das machen. Und da sagen die beiden erstmal: Wie bitte?
Hanna: "Ihr seid ein Krankenhaus, warum gibt es hier kein Blut? Warum müssen wir jetzt fahren? Wenn ihr es schon nicht habt, warum schickt ihr nicht jemanden? Und dann wurde schnell klar, so funktioniert es nicht. Wir bekamen Gott sei Dank einen Taxifahrer an die Seite, der sich auskannte. Und der wusste wo wir da hin fahren mussten um Blut zu kaufen. In Santiago gibt es so ganz enge Gassen. Und der ist natürlich gefahren wie ein Irrer. Weil er auch wusste es geht um Leben und Tod. Und der ist durch diese Gassen gerast. Und immer wenn rechts vor links war, der ist einfach durchgerast und hat gehupt. Wie ein Wahnsinniger (...) Und hat dann, das weiß ich noch, am ersten Haus gehalten. Für mich sah das aus wie ein ganz normales Wohnhaus. (...) Jemand hat aufgemacht er hat kurz mit dem gesprochen und dann kam der Taxifahrer zurück mit leeren Händen hat den Kopf geschüttelt und wir sind weitergefahren. Also es gab kein Blut zu kaufen."
"Wir bekamen Gott sei Dank einen Taxifahrer an die Seite, der sich auskannte. Und der wusste wo wir da hin fahren mussten um Blut zu kaufen."
Auch beim zweiten Haus: kein Glück. An der dritten Tür, da bekommen sie bekommen Blut, abgepackt in sechs Plastiksäckchen. Hanna kann sich gar nicht richtig mehr daran erinnern, wie das genau abgelaufen ist, mit der Blutgruppe und dem ganze Kram drumherum. Woran sie sich noch erinnert, ist, wie sie dann im Auto zurück saßen.
Hanna: "Und dann haben wir auf dem Rückweg auf die Uhr geguckt und da waren kurz bevor wir ihn Moca wieder im Krankenhaus waren gut drei Stunden vergangen und wir haben gedacht wir kommen zu spät. Wir haben gedacht, wenn wir kommen ist der tot."
Aber der Schwiegervater lebt noch. Er wird jetzt operiert und mit Blut versorgt. Jetzt können sie nur noch warten. Hannas Mann und seine Mutter fahren zurück zu dem Haus um nach den Rechten zu sitzen, sie waren da ja so fluchtartig weg, da hatten sie alles offen stehen gelassen. Währenddessen bleibt Hanna alleine im Krankenhaus.
"Was wir alle zum Leben brauchen, dieses Gefühl davon, dass schlimme Dinge anderen passieren und nicht einem selber, das war kaputt."
Hanna: "Ich weiß, dass ich den Rest der Nacht – waren ja noch ein paar Stunden – hab ich zitternd auf dem Stuhl gesessen unter dem Laken. Ich hatte mich im Leben gar nicht so entspannen können mich da jetzt hinzulegen. Es war für mich völlig absurd. Ich habe auch das Licht angelassen die ganze Zeit das Licht nicht ausgemacht. Ich hatte auch immer diese Panik vor Wiederholungen jetzt passiert das wieder. (...) Man kann gar nicht glauben, dass es vielleicht nicht passiert. Was wir alle zum Leben brauchen, dieses Gefühl davon, dass schlimme Dinge anderen passieren und nicht einem selber, das war kaputt. Das lag komplett in Trümmern und ich habe jede Sekunde, auch danach noch als ich wieder in Deutschland war, damit gerechnet, dass jetzt gleich was Schlimmes passiert."
Hanna beginnt, ihr Trauma zu verarbeiten
Nachdem der Oberarzt in Deutschland Hanna gesagt hat, sie sollte mal über ihre "Belastbarkeit" nachdenken, lässt Hanna den Gedanken zumindest zu, dass ihre Anfälle psychischer Natur sein könnten. Dass diese eine Nacht sie stärker erschüttert hat, als sie wahrhaben will, und dass sie damit vielleicht doch nicht alleine klar kommt. Aber was das bedeutet – das kann sie sich immer noch nicht eingestehen. Das würde bedeuten einzusehen, dass der Überfall einen riesigen Einfluss auf ihr leben hatte und genau das wollte sie ja nicht. Und dann müsste sie auch einsehen, dass sie eine Therapie braucht. Erst als ihr Vater, der selbst Psychiater ist, ihr ins Gewissen redet, kommt das so richtig bei ihr an.
Hanna: "Ich weiß noch, ich hab gesagt, ich will das nicht, ich hab geweint. (...) Er hat gesagt: Du (...) kannst Medikamente nehmen Neuroleptika oder Antidepressiva oder Angsthemmer, die dir vielleicht dabei helfen und dann kannst du vielleicht eine ambulante Therapie machen und das notdürftig irgendwie zusammen flicken. Oder du kümmerst sich da jetzt richtig drum."
"Er hat gesagt: Du kannst Medikamente nehmen Neuroleptika oder Antidepressiva oder Angsthemmer, die dir vielleicht dabei helfen und dann kannst du vielleicht eine ambulante Therapie machen und das notdürftig irgendwie zusammen flicken. Oder du kümmerst sich da jetzt richtig drum."
Richtig machen, dass heißt: sechs Wochen stationäre Therapie in einer Klinik. Das Wichtigste, was sie da macht, ist eine Traumatherapie. Also da muss das ganze Erlebte noch mal erzählen, um es richtig abzulegen.
Hanna: "Dann habe ich nebenher noch ganz viele andere Therapien gemacht. Körperwahrnehmung zum Beispiel. Das war ein ganz großes Thema, weil ich total angespannt und starr war und erst in dieser Körperwahrnehmungstherapie, wo man sich bewegen muss (...) und mit Bändern schwingen (...) das war gar nicht meins! Überhaupt nicht!"
Aber Hanna lernt das. Schafft es sich aus ihrer Angststarre zu lösen. Am Schluss kann sie sogar bei den Entspannungsübungen – im Dunkeln mit anderen Leuten in einem Raum, wo sie sich am Anfang nur unwohl gefühlt hat – da kann sie einschlafen! Trotzdem ist Hannas Therapie nach diesen sechs Wochen nicht beendet. Weil sie eine entscheidende Sache bis zum Schluss nicht akzeptieren kann.
Hanna: "Warum ist mir das passiert, warum ist uns das passiert und ich wollte eine Antwort darauf haben und habe doch auch darauf gepocht und habe den Ärzten gesagt: 'Jetzt sagt mir das. Ich will das jetzt wissen. Kein anderer gibt mir eine Antwort. Ihr müsst das jetzt machen.'"
Aber die Ärzte geben ihr keine Antwort. Niemand kann ihr die geben. Dieses "Warum" das lässt sie einfach nicht los. Warum ist ihr das passiert. Und warum ist ihr Leben dadurch so aus den Fugen geraten, dass sie jetzt in einer Klinik sitzt.
Hanna: "Wenn man wenn man so kämpft darum, dass jemand lebt und so wenig Hoffnung hat, dass der das schaffen kann. Und dann kommt man ein paar Tage später und dann sitzt er da zwar im Rollstuhl, aber für das, was passiert ist, ja wie das blühende Leben. Und ist schon wieder mit seinen Bauplänen beschäftigt und kann Pizza essen. Dann weiß man nicht ob man ob man ob man lachen möchte oder weinen oder ob man ihm eine reinhauen möchte, weil der einem solche Sorgen gemacht hat und so ein Schreck gemacht hat.
"Wenn man wenn man so kämpft darum, dass jemand lebt und so wenig Hoffnung hat, dass der das schaffen kann. Und dann kommt man ein paar Tage später und dann sitzt er da zwar im Rollstuhl, aber für das, was passiert ist, ja wie das blühende Leben."
Das "Warum" bleibt bei Hanna
Hanna hat jetzt fast zwei Stunden erzählt. Von dieser einen Nacht , die ihr ganzes Leben verändert hat. Von diesem brutalen Überfall, davon wie ihr Schwiegervater fast erschossen wurde. Wie sie ihm das Leben gerettet haben, indem sie ihn vom Haus zur Krankenstation zum Krankenhaus transportiert haben, dann noch Blutkonserven holen mussten. Und wie der Schwiegervater dann fast wie durch ein Wunder wieder nach drei Tagen fit war. Hanna hat zehn Wochen Therapie gebraucht, um damit klar zu kommen.
Hanna: "Und ich habe bis heute keine Antwort gefunden auf die Frage nach dem Warum. Aber es ist mir auch nicht mehr so wichtig."
Und trotzdem redet sie heute fast nie über das, was da passiert ist. Aber gar nicht, weil sie nicht drüber reden könnte. Sondern weil viele Menschen in ihrem Umfeld nicht damit klar kommen, wenn sie davon erzählt.
Hanna: "Das ist auch der Grund warum ich da noch lange nicht drüber gesprochen, habe schon auch Angst vor Reaktionen. (...) ich erzähle dass sowieso niemand Fremden das bis jetzt du die erste Fremde der ich das erzähle. Aber die Menschen die mir nahe stehen, Familie oder Freunde mit denen ich damals zu Anfang drüber gesprochen habe, da hatte ich sehr schnell das Gefühl, die können diese Belastungen nicht tragen das ist zu schlimm. Manchmal hatte ich das Gefühl dass sie versucht haben dann irgendwie wegzukommen aus der Situation. Abstand für sich zu finden. Abstand zu mir zu finden."
"Die Menschen die mir nahe stehen, Familie oder Freunde mit denen ich damals zu Anfang drüber gesprochen habe, da hatte ich sehr schnell das Gefühl, die können diese Belastungen nicht tragen das ist zu schlimm."
Vielleicht lag es daran, dass die Leute gar nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten. Dass sie Angst hatten, bei ihr etwas aufzuwühlen. Oder taktlos zu sein. Und deswegen einfach gar nicht nachgefragt haben. Aber es könnte auch daran liegen, und das ist zumindest, was Hanna vermutet, dass sie Leute daran erinnert, wie sinnlos und wie grausam das Leben sein kann. Dass eine heile Welt, wie ihr Leben vor dem Überfall war, einfach so kaputt gehen kann. Und dass das viele Leute nicht ertragen können.
Hanna: "Dass auch das etwas war, was ich akzeptieren musste und was mich auch sehr geschmerzt hat am Anfang, weil das einsam macht und das Distanz schafft und das gerade zu den Leuten die man liebt oder die einen auch lieb haben. Das ist ja auch nicht so, dass ich das nicht verstehe. (...) Ich glaube dieses Verständnis dafür musste ich aber auch erst entwickeln und musste irgendwie auch ein Stück akzeptieren, dass ich das ich das vielleicht auch ein Teil dieser Geschichte ist, dass ich auch ein bisschen mit dieser Einsamkeit leben muss."
"Ich glaube dieses Verständnis dafür musste ich aber auch erst entwickeln und musste irgendwie auch ein Stück akzeptieren, dass ich das ich das vielleicht auch ein Teil dieser Geschichte ist, dass ich auch ein bisschen mit dieser Einsamkeit leben muss."
Während Hanna das sagt, schaue ich wieder das Bild an der Wand an, das Bild von Frieda Kahlo. Diese Malerin, deren ganz viel von Einsamkeit und Stärke erzählen. Da steht die mit halbnacktem Oberkörper, eingerankt von diesem Dschungel. Und das Krasse an dem Bild ist, glaube ich, dass sie eine Gelassenheit im Blick hat und stark aussieht und furchtlos – und auch verletzlich.
Hanna: "Ich würde gerne nochmal nach Jamao und mir das Bergdorf anschauen. Und ich würde da gerne nochmal ein super frisch gepressten Saft trinken und da auch noch mal schwimmen gehen. Auch aus dem Grund um zu wissen so: Ich bin dem begegnet und ich habe das überlebt und es ist jetzt wirklich gut und auch nicht meine letzte Begegnung sein zu lassen."
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