Der Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orbán, ist seit 13 Jahren im Amt. Wir erklären, wie seine politische Karriere mit einer ganz besonderen Rede begann und was der ehemalige ungarische Premierminister Imre Nagy damit zu tun hat.

16. Juni 1989: In Budapest wird der Leichnam des ehemaligen ungarischen Premierministers Imre Nagy feierlich umgebettet und erneut beigesetzt. Imre Nagy war 1956 der Kopf des Aufstands der Ungarn gegen die kommunistische Partei und die sowjetische Besatzungsmacht.

Michael Gehler, Professor für Geschichte an der Universität Hildesheim
"Imre Nagy hofft auf die Unterstützung der Vereinten Nationen - das war nicht so weit her geholt, weil Ungarn im Dezember 1955 Mitglied der Vereinten Nationen wurde."

Der Aufstand begann am 23. Oktober 1956 und endete zwölf Tage später mit dem Einmarsch der Roten Armee: Imre Nagy wurde wegen Landesverrat angeklagt, zum Tode verurteilt, am 16. Juni 1958 hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt.

Viktor Orbáns wichtigste Rede

31 Jahre später steht der Sprecher der Universitätsjugend, Viktor Orbán, auf einem Podest und hält vor vielen Tausend Zuhörern eine Rede auf Imre Nagy und dessen Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer. Diese ebenso von tosendem Beifall wie von Kritik begleitete Rede macht den 26-Jährigen landesweit bekannt.

Er plädiert – wie einst Imre Nagy – für den Abzug der in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen und spricht sich für ein liberales und demokratisches Staatswesen aus. Das ist der Startschuss einer beeindruckenden politischen Karriere. Diese führt über verschiedene Referentenjobs in Ministerien und Studienaufenthalte in den USA schließlich 1993 dazu, Parteivorsitzender der neu gegründeten Partei Fidesz zu werden.

Die politische Ära Orbán

Schon 1990 wird Viktor Orbán ins Parlament gewählt. Dort fungiert er als Fraktionsvorsitzender der Fidesz und sorgt für den Umbau der eigentlich liberalen Partei zu einem Sammelbecken von Konservativen.

Nach der Parlamentswahl 1998 bildet Viktor Orbán mit der konservativen Kleinbauernpartei und dem Ungarischen Demokratischen Forum eine Koalitionsregierung. Er führte diese Regierung bis 2002 als Ministerpräsident. Nach acht Oppositionsjahren erringt Viktor Orbán mit der Fidesz 2010 einen überzeugenden Sieg und wird erneut Ministerpräsident. Das Amt des Ministerpräsidenten hat Orban seit nunmehr 13 Jahren inne.

Seit 1998, der ersten Amtszeit, hat sich Orbán von einem liberal-demokratischen Politiker zu einem Autokraten gewandelt. Dabei stellt er nicht nur seine ideologische Nähe zu Putins Russland offen zur Schau, sondern hat Ungarn in eine illiberale Demokratie umfunktioniert.

Ihr hört außerdem in Eine Stunde History:

  • Der Journalist Stephan Ozsváth hat Jahre lang aus Ungarn berichtet und beschreibt Viktor Orbán
  • Der Osteuropa-Experte Daniel Hegedüs ordnet den ungarischen Nationalismus Orbáns in den Kontext der europäischen Rechten ein.
  • Die Politikwissenschaftlerin Ellen Bos hat sich mit dem "System Orbán" beschäftigt, das seit vielen Jahren in Ungarn die Politik bestimmt
  • Deutschlandfunk-Nova-Geschichtsexperte Dr. Matthias von Hellfeld beschreibt den Werdegang Orbáns vom liberalen Studentensprecher zum autokratischen Ministerpräsidenten
  • Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Grit Eggerichs erinnert an die Rede vom 16. Juni 1989, mit der Viktor Orbán landesweit bekannt wurde.
Shownotes
Historischer Beginn 1998
Viktor Orbán wird zum ersten Mal ungarischer Ministerpräsident
vom 30. Juni 2023
Moderator: 
Markus Dichmann
Gesprächspartner: 
Dr. Matthias von Hellfeld, Deutschlandfunk Nova - Geschichtsexperte
Gesprächspartnerin: 
Grit Eggerichs, Deutschlandfunk Nova-Reporterin
  • Journalist und Ungarn-Korrespondent Stephan Ozsvath
  • Osteuropa-Experte Daniel Hegedüs
  • Politikwissenschaftlerin Ellen Bos