Ein Schädel, der 88 Jahre in einem Versteck gelegen hat, soll jetzt Hinweise auf eine neue Menschenart geben: den sogenannten Drachenmenschen. Laut einem internationalen Team aus Forschenden soll diese näher mit dem modernen Menschen verwandt sein als der Neandertaler. Es gibt aber auch Zweifel.
Bislang galt der Neandertaler als der nächste Verwandte des modernen Menschen. Ein Team aus Forschenden aus China, Australien und England hat jetzt gleich drei Studien in der Fachzeitschrift The Innovation veröffentlicht, in der sie eine neue Menschenart beschreiben: den Homo longi.
Übersetzt bedeutet das Drachenmensch und ist nach dem Ort benannt, wo der Schädel gefunden wurde, dem Drachenfluss.
Laut einem Teil der Forschenden würde es sich hierbei um eine Schwesternart des Homo sapiens handeln, die näher mit dem modernen Menschen verwandt sei als – wie bislang angenommen – der Neandertaler.
Schädel war 88 Jahre im Brunnen versteckt
Grundlage für die Studien der Forschenden ist ein Schädel, der vor etwa 88 Jahren von chinesischen Bauarbeitern in der Stadt Harbin im Norden Chinas gefunden wurde. Diese wurden im Krieg 1933 von japanischen Besatzern dazu angewiesen, eine Brücke zu bauen. Einer der Vorarbeiter soll den Schädelfund im Anschluss vor den Japanern in einem Brunnen versteckt haben.
Aus Scham, einmal für sie gearbeitet zu haben, soll der Vorarbeiter erst kurz vor seinem Tod seinen Enkeln von dem Schädel und dem Versteck erzählt haben. Sie haben den Schädel schließlich vor drei Jahren an die Forschenden übergeben, schreiben die Studienautoren.
Schädel ist 146.000 Jahre alt
Danach soll der Schädel mindestens 146.000 Jahre alt sein. Das Alter konnten die Forschenden über kleinste Erdpartikel bestimmen. Sie vermuten, der Schädel stamme von einem etwa 50 Jahre alten Mann, der wahrscheinlich Jäger und Sammler war.
Sein Schädel, so die Forschenden, habe Ähnlichkeit mit dem des Homo sapiens, des Neandertalers und dem sogenannten Denisova-Menschen. Letzterer gilt als eine Unterart des Neandertalers, der in Eurasien lebte. Der neu entdeckte Schädel sei etwa genauso groß wie der des modernen Menschen, das Gesicht sei kurz und flach mit kleinen Wangenknochen. "Das entspricht eher dem Homo sapiens", sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Matthias Wurms.
Im Gegensatz zum Homo sapiens ist die Schädeldecke allerdings länger und flacher. Zudem hatte der Mensch kräftige Wülste über den Augen, sehr tiefe Augenhöhlen und große Backenzähne. Diese Merkmale weisen eher auf eine ältere Menschenart hin.
Zweifel an neuer Menschenart
Die Schlussfolgerung einiger der Forschenden, bei dem Schädel würde es sich nicht nur um eine eigene Art des Urmenschen handeln, sondern um eine Schwesternart des Homo sapiens, was sie zum nächsten Verwandten des modernen Menschen macht, sehen andere Forschende, die auch an den Studien beteiligt sind, noch kritisch.
"Die Wissenschaftsgemeinde ist sich noch gar nicht einig."
Einer von ihnen ist Chris Stringer, Anthropologe am Natural History Museum in London. Er hat an zwei der drei Studien mitgeschrieben und hält die Annahme seiner Studienkollegen für denkbar. Für eine finale Erklärung würden allerdings noch die Beweise fehlen. Andere Expertinnen und Experten gehen davon aus, der Schädel gehöre zur Stammbaumlinie des Denisova-Menschen, wie viele andere Funde in Mittelasien und in Tibet auch.
"Viele halten es für wahrscheinlicher, dass auch dieser Schädel zu der Stammbaumlinie des Denisova-Menschen gehört."
In einem nächsten Schritt möchten die Forschenden daher DNA-Proben aus dem Schädel entnehmen und diese untersuchen. Ob das funktioniert, ist einerseits wegen des hohen Alters des Schädels unklar. Es ist auch noch offen, was die lange Zeit im Brunnenversteck mit dem Schädel gemacht hat.