Heimat ist das, wovon die anderen reden
Was Heimat ist, spüren wir meist dann, wenn wir weit von ihr entfernt sind. Heimat erfährt sich durch den Unterschied von Raum, Zeit und Sprache – dem "Anderssein". Das beschreibt der Philosoph Alfred Hirsch in seinem Vortrag.
Wer fern der alten Heimat ist, freut sich darüber, mal wieder mit Eltern, Verwandten und Freunden so reden zu können, wie einem der Schnabel gewachsen ist, er atmet erleichtert durch.
Heimat: Zum Beispiel die Muttersprache sprechen
Denn: Sprache ist Heimat. Den Dialekt der eigenen Kindheit zu hören und selbst noch einmal anwenden zu können im Wissen, dass der andere via Telefon oder Skype das auch genau so versteht, löst Heimatgefühle aus.
"Heimat ist zweifelsfrei mehr als nur der Ort der Geburt oder Herkunft."
Erst die Krise des Entzugs führt dazu, Heimat zu jenem Sehnsuchtsort werden zu lassen, zu dem sie immer wieder verklärt worden ist, meint der Redner. Nur die Begegnung mit dem Fremden lasse den Menschen Sprache und Ort seiner eigenen Heimat verstehen.
Gefühl der Fremde
Alfred Hirsch führt als ein Beispiel unter vielen den verstorbenen Theater- und Literaturkritiker Hans Sahl an. Er musste 1941 vor den Nazis nach New York fliehen.
"Ich habe einen Pakt mit der Fremde geschlossen. Ich kann nicht mehr ohne sie leben, ohne dieses Gefühl, nicht ganz zu Hause zu sein."
Sein Beispiel zeigt, dass sich Heimat auf seltsame Weise auch verschieben kann. Manches deutet darauf hin, dass Hans Sahl sogar zwei "Heimate" empfand – obwohl es dieses Wort im Plural gar nicht gibt. So schrieb er nach dem Krieg Texte aus seiner neuen Heimat Amerika für die alte in Deutschland. In seinen Glossen versuchte er, die amerikanische Kultur den Deutschen nahe zu bringen.
Kein Mensch ist ortlos, selbst wenn ihm die Staatsangehörigkeit aberkannt wird. Immer, so Alfred Hirsch, seien Menschen in Geschichten und symbolische Ereignisse verstrickt – und den Raum dafür dürfe man ohne jegliche Bedenken als "Heimat" bezeichnen.
Der Vortrag "Fremde Heimat" wurde am 13. November 2019 in der Kreuzeskirche Essen gehalten. Dort sprach Alfred Hirsch, Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität Witten-Herdecke. Eingeladen hatte ihn das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) und die Bonner Evangelische Akademie im Rheinland im Rahmen der Reihe "Heimat.Klang.Raum."