Beleidigungen, Lügen, Anfeindungen bis hin zur Hassrede – all das sind Phänomene, die uns allzu oft in politischen Online-Diskussionen begegnen. Woher kommt diese Inzivilität, wie verbreitet ist sie und welche Folgen hat sie? Ein Vortrag des Kommunikationswissenschaftlers Marc Ziegele.
Der Ton im Netz wird immer rauer – diese Diagnose hören wir oft. Aber ist das wirklich so? Und woher kommt das Phänomen überhaupt, dass es in Kommentarspalten und Online-Diskussionen so unzivilisiert zugeht? Solche Fragen erforscht der Kommunikationswissenschaftler Marc Ziegele.
"Inzivilität ist kein Randphänomen, wir sehen möglicherweise in den Social Media nur die Spitze des Eisbergs."
Er untersucht empirisch das, was in der Fachsprache Inzivilität genannt wird – also so unschöne Internet-Phänomene wie Beleidigungen und Beschimpfungen, abfällige Bemerkungen oder die Absprache von Kompetenz, Lügen-Vorwürfe, Extremismus, Rassismus oder Hassrede. Solche Erscheinung nehmen zwar derzeit offenbar nicht zu, erklärt er anhand verschiedener Studien – aber sie stagnieren auf hohem Niveau.
"Inzivilität wird als Bedrohung einer gesunden Demokratie und eines funktionierenden demokratischen Diskurses gesehen."
Warum ist das ein Problem? Mal ganz abgesehen davon, dass es für die einzelnen Adressat*innen solcher Normverstöße ungemütlich bis sogar schädlich sein kann, ist es für uns alle als Gesellschaft nicht gut.
Inzivilität im Netz schadet der Demokratie
Denn unter anderem behindern solche Phänomene Deliberation, also den freien Austausch von Argumenten im politischen Diskurs und damit die gesellschaftliche Lösungs-, Kompromiss- und Konsensfindung. Und das ist wichtig für unsere Demokratie.
Marc Ziegele betont: "Demokratie basiert darauf, dass im Prozess der Willensbildung und Entscheidungsfindung nicht diejenigen dominieren, die am lautesten schreien, sondern im Idealfall sollten sich diese Prozesse in einem argumentativen und möglichst respektvollen Diskurs um das Für und Wider von Positionen vollziehen."
"Eine zivilisierte Mehrheit entscheidet sich also, nichts mehr zur Online-Diskussionen beizutragen, [...] während eine lautstarke Minderheit die Online-Diskussion zunehmend dominiert."
In seinem Vortrag spricht er daher nicht allein über das Ausmaß von Inzivilität, sondern nimmt auch die Ursachen in den Blick. Hierzu gibt es einiges an spannender experimenteller Forschung.
Die zeigt zum Beispiel, warum Menschen sich im Netz inzivil verhalten und was das mit den Menschen macht, die betroffen sind oder mitlesen. Unter anderem stellt er Untersuchungen vor, die zeigen, wie Menschen sich wegen Inzivilität aus Diskussionen zurückziehen oder auch außerhalb des Netzes ihr Verhalten ändern – etwa weniger für gute Zwecke spenden.
"Polemische und respektlose Äußerungen sichern politischen Akteuren Aufmerksamkeit, garantieren Medien werberelevante Klicks und bringen den Plattformen eine erhöhte Verweildauer der Nutzenden."
Nicht zuletzt erinnert Marc Ziegele auch daran, dass Menschen mit Inzivilität auch Geld verdienen und dass es Gruppen gibt, die konzertiert und geplant Inzivilität im Netz verbreiten, weil es ihren politischen Zielen dient – aber auch daran, dass es trotz all dem auch konstruktive und deliberative Online-Diskussionen gibt.
Marc Ziegele ist Juniorprofessor für politische Online-Kommunikation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Politische Partizipation, Diskussionskultur, Inzivilität, Hate Speech und Deliberation im Netz.
Sein Vortrag "Verbreitung, Ursachen und Folgen von Inzivilität in politischen Online-Diskussionen" wurde am 11. Januar 2024 im Rahmen der Vortragsreihe "Colloqium Fundamentale" aufgezeichnet. Diese Reihe organsiert das Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale (ZAK) am Karlsruher Institut für Technologie regelmäßig - im Wintersemester 2023/24 ging es dabei um Politische Informationen im digitalen Zeitalter.