Während einer Expedition von 1907 bis 1909 haben deutsche Forscher mehr als 1000 Schädel von Ostafrika nach Deutschland gebracht. Jetzt sollen sie zurückgegeben werden.

Während der Kolonialzeit im damaligen Deutsch-Ostafrika - ein Gebiet, das die heutigen Staaten Tansania, Burundi und Ruanda umfasst - haben deutsche Forscher im Rahmen einer Expedition zwischen 1907 bis 1909 1150 menschliche Schädel gesammelt und nach Deutschland gebracht. 

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrt die Schädel und würde sie am liebsten zurückgeben. Doch die genaue Herkunft festzustellen, ist nach so vielen Jahren nicht ganz einfach. Ein zweijähriges Pilotprojekt am Museum für Vor- und Frühgeschichte hat sich das zur Aufgabe gemacht. Das erste Jahr ist schon vorbei.

Die S-Sammlung ist heute in einem Außendepot der Staatlichen Museen zu Berlin in Friedrichshagen untergebracht. Nach Übernahme von der Charite 2011 wurden die Schädel zunächst aufwändig gereinigt, konservatorisch behandelt und dann mit allen vorhandenen Informationen erfasst. Sie werden heute in säurefreien Archivschachteln unter würdigen Bedingungen verwahrt.
© SPK / Birgit Jöbstl
Nach der Übernahme von der Berliner Charité im jahr 2011 wurden die Schädel zunächst aufwändig gereinigt, konservatorisch behandelt und dann mit allen vorhandenen Informationen erfasst. Sie werden heute in säurefreien Archivschachteln unter würdigen Bedingungen verwahrt.

Bekannt ist, dass 900 der Schädel aus dem heutigen Ruanda und 250 aus dem heutigen Tansania stammen. Außerdem wurden sie fast alle bei einer einzigen Expedition von 1907 bis 1909 gesammelt. Mit dabei war der Anthropologe Jan Czekanowski, der im Auftrag des Berliner Völkerkundemuseums so viele Schädel wie möglich sammeln sollte. Der Auftrag kam von Felix von Luschan, der im Museum für Völkerkunde in Berlin Schädel und Gebeine aus aller Welt zusammentragen wollte. 

"Sammeln hat man das damals genannt. Das ist ein Euphemismus. Die meisten Schädel wurden aus Grabstätten der Einheimischen geraubt oder stammen von Menschen, die gewaltsam zu Tode gekommen oder in Gefangenenlagern umgekommen sind."
Christiane Habermalz, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

"Die Wissenschaftler wollten damals die Minderwertigkeit der afrikanischen gegenüber der europäischen Bevölkerung wissenschaftlich belegen", erklärt Christiane Habermalz. Anhand von Schädelbemessungen wurde in ganz Europa und darüber hinaus nach Belegen für diese rassistische Annahme gesucht.

Beschriftungen auf Schädel S 2552. Der polnische Forscher Jan Czekanowski nahm an der „Deutschen Zentral-Afrika Expedition“ des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg in den Jahren 1907-1908 teil, die in das Gebiet der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika führte. Er war von Felix von Luschan beauftragt worden, für die sogenannte S-Sammlung des Museums für Völkerkunde Schädel zu sammeln. Die Beschriftung „Busira“ weist auf eine Begräbnisstätte hin
© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte

Die Schädel selbst sind mit Inventarnummer, Fundort, Fundjahr und Name des Sammlers beschriftet. Seit dem Zweiten Weltkrieg fehlen allerdings die dazugehörenden Inventarbücher. Vorhanden sind noch die Tagebücher von Jan Czekanowski, die zum Teil noch unveröffentlicht sind. Aus dessen Briefen haben die Forscher bereits interessante Details über 109 der Schädel erfahren, die von der Insel Busira im Viktoriasee in Tansania stammen. Auf der Insel befand sich eine Begräbnisstätte für hohe Würdenträger der Hayo. 

Felix Ritter von Luschan (* 11.8.1854 Hollabrunn bei Wien; † 1924 in Berlin). EM-SMB, VIII A 4555 b (links) und Der polnische Forscher Jan Czekanowski nahm an der „Deutschen Zentral-Afrika Expedition“ des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg in den Jahren 1907-1908 teil, die in das Gebiet der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika führte. Er war von Felix von Luschan beauftragt worden, für die sogenannte S-Sammlung des Museums für Völkerkunde Schädel zu sammeln.
© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum , Adolf Friedrich Herzog zu Mecklenburg: Ins innerste Afrika. Bericht über den Verlauf der deutschen wissenschaftlichen Zentral-Afrika-Expedition 1907-1908.

In diesen Briefen beschreibt der Anthropologe, dass er sich auf die Insel Busira rudern ließ und dort Schädel geraubt hat. Anhand von Familienähnlichkeiten und den Inventarnummern kann man heute die Schädel einzelnen Familien zuordnen. Mit Interviews wollen die Wissenschaftler vor Ort herausfinden, was an mündlichen Überlieferungen von diesem Grabraub vor über hundert Jahren noch vorhanden ist.

Keine Forderungen aus Ostafrika

Bei einem der Schädel ist eindeutig, dass der Mensch ermordet wurde, sagt Christiane. Er hat klaffende Einschusslöcher in der Stirn. Wie es zu dem Todesfall kam, wurde von dem Rassenforscher Rudolf von Virchow schriftlich festgehalten, der den Schädel untersuchte. Demnach wurde der Mann 1888 von einem Aufseher erschossen. Eigentlich ein klarer Fall – bis auf die Tatsache, dass der Schädel Merkmale eines Europäers aufweist. Christiane fragt sich, ob da möglicherweise ein Kriminalfall vertuscht wurde.

Lücken in der Gedenkkultur

Offiziell gibt es keine Anfrage zu den Schädeln. Zwar werden die Gebeine zweier Maji-Maji-Häuptlinge vermisst. Die Chiefs spielen heute noch eine große Rolle in der Gedenkkultur Tansanias. Sie haben von 1905 bis 1907 Aufstände gegen die Deutschen angeführt. Es ist bekannt, dass deren Schädel später nach Deutschland gebracht wurden. In Tansania werden Forderungen laut, dass Deutschland deren Schädel zurückgeben soll, aber bisher gibt es noch keine Hinweise darauf, dass ihre Schädel unter den über 1000 Stück sind.

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Shownotes
Kolonialgeschichte
1150 Schädel ohne Heimat
vom 25. September 2018
Moderator: 
Paulus Müller
Gesprächspartnerin: 
Christiane Habermalz, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin