Zoom-Fatigue wurde in der Pandemie schnell zum Begriff. Einige haben inzwischen gar keine Lust mehr auf Videocalls oder Online-Meetings, weil diese anstrengender sind, als direkt miteinander zu sprechen. Neurowissenschaftler Henning Beck erklärt die Gründe.

Forschende aus Israel haben untersucht, warum uns Videocalls so erschöpfen. Für ihre Untersuchung haben sie beobachtet, was in den Gehirnen von Müttern und Töchtern passiert, wenn sie miteinander sprechen. Denn wenn eine Mutter mit ihrer Tochter direkt kommuniziert, dann beginnen die Gehirne oder bestimmte Areale in den Gehirnen sich zu synchronisieren. Das heißt, in ähnlichen Hirnregionen laufen ähnliche Aktivitätenmuster ab.

Diese Aktivitätenmuster lassen sich messen, indem Elektroden an den Schädeln angeklebt werden. Diese messen dann die elektrischen Felder, die im Gehirn entstehen, erklärt Neurowissenschaftler Henning Beck.

"Das Interessante ist, wenn man jetzt mit jemandem auf einer Wellenlänge ist."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Diese ähnlichen Hirnareale, die dann ähnlich aktiv sind, führen dazu, dass wir uns gedanklich, rhetorisch und charakterlich aufeinander einschwingen, erklärt Henning Beck. "Und dann tatsächlich auch so ähnlich ticken." Bei Müttern und Töchtern funktioniere diese Kopplung der Gehirne besonders gut.

Bildschirm wirkt wie Kommunikationsbarriere

Deshalb haben die Forscher diese Mütter-Töchter-Paare genommen und sie per Videocall kommunizieren lassen, um zu sehen, wie die Hirnareale dann reagieren. Der Bildschirm scheint aber wie eine Barriere zu wirken, sodass sich die Gehirne nicht einschwingen können. Körpersprache ist kaum oder schwerer erkennbar über diese räumliche Grenze und unser Blickfeld ist eingeschränkt.

"Du achtest im Prinzip nur auf dieses Fensterraster vor dir und nicht auf die komplette Person, die dir gegenübersitzt. Das limitiert wohl diese Synchronisierung."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Diese körperlichen Signale oder die nonverbale Kommunikation fehlen, sodass diese Synchronisierung der Gehirnareale kaum stattfindet. Die Mütter und Töchter sind per Videocall nicht auf dieselbe Wellenlänge gekommen, so der Neurowissenschaftler. "Das ist dann anstrengend", erklärt Henning Beck, weil wir uns immer wieder ganz bewusst fokussieren müssen auf die andere Person. Auf Dauer könne das ermüdend sein.

Auf der gemeinsamen Wellenlänge in den Flow kommen

Sitzen wir uns ohne Barriere gegenüber und können normal miteinander sprechen, kommen wir in einen Flow. Ein Wort ergibt das andere, wir spielen uns die Bälle zu und die Körpersprache und Sprachmelodie vermitteln den Subtext. "Wenn das in unserem Gehirn so schnell passiert wie in dem Hirn unseres Gegenübers, dann ist das kein Aufwand für uns", erklärt der Neurowissenschaftler. Es kann sogar entspannend wirken. "Das ist bei Videokonferenzen eben nicht so leicht der Fall, deswegen sind die eben auch eher stressig", meint Henning Beck.

Deshalb sollten wir überlegen, ob sich der geplante Austausch für ein Online-Meeting eignet oder ob es besser in Präsenz stattfinden sollte. Wenn nur Fakten ausgetauscht werden, meint Henning Beck, könne eine Videokonferenz ausreichen. Wenn es aber um einen Austausch in der Gruppe über Ziele und Ansichten gehe oder die Entwicklung von kreativen Ideen, dann eigne sich ein Treffen in Präsenz eher. Denn dann würden auch Emotionen erlebbar, die sehr wichtig für die Stimmung bei so einem Treffen und für die Bindung der Gruppe seien.

Shownotes
Neurowissenschaften
Warum Videocalls so anstrengend sind
vom 21. Januar 2023
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Henning Beck, Neurowissenschaftler