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Das Ende der Trennung von privat und gesetzlich? Eine Studie liefert Argumente für eine Bürgerversicherung im Gesundheitsbereich. Kommen wird sie trotzdem nicht, sagt Stefan Sell und erklärt auch warum.

Das Krankenversicherungssystem in Deutschland benachteiligt laut einer Studie die gesetzlich Versicherten. Beziehe man die finanziell leistungsstärkeren und gesünderen Privatversicherten in die gesetzliche Krankenversicherung ein, könnten jedes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse und sein Arbeitgeber zusammen jährlich durchschnittlich 145 Euro sparen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine am 17.02.2020 veröffentlichte Studie des Berliner Iges-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung gilt als gemeinnützig, beruft sich auf parteipolitische Neutralität und vertritt in der Regel marktliberale Positionen. Die aktuelle Publikation "Geteilter Krankenversicherungsmarkt" liefert hingegen Argumente für eine Bürgerversicherung. Allein neunmal tauchen in der Studie das Wort Solidarität und verwandte Begriffe auf.

Experten pro Bürgerversicherung

Für Stefan Sell ist es von zentraler Bedeutung, dass endlich Beamte und Selbstständige in die normalen Sozialversicherungssysteme aufgenommen werden. Auch Politikerinnen und Politiker wären dort besser aufgehoben. Er lehrt Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften und leitet das Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz.

"Ob man nun für oder gegen eine Bürgerversicherung ist: Wichtig ist die Einbeziehung der Selbständigen und der Beamten in die normalen Sozialversicherungssysteme."
Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz

Dieses Gedankenspiel stoße aber rasch an seine Grenzen, sagt Stefan Sell. Bei der Umwandlung aller privaten Versicherungsverträge in gesetzliche, rechnet er mit so massivem juristischem Widerstand, dass er den Versuch für aussichtslos hält.

"Sie müssten die Leute in die gesetzliche Krankenversicherung überführen. Dazu wird es nicht kommen. Da steht eine ganze Armada an Juristen bereit, die höchsten Bedenken vor Gericht zu tragen."
Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz

Überdiagnostik und Übertherapie bei Privatpatienten

Stefan Sell erinnert daran, dass Privatversicherte innerhalb des deutschen Gesundheitssystems eine Vielzahl von Vorteilen genießen – besonders bei der Terminvergabe und bei der Art der Behandlungen. Andererseits seien Privatversicherte dem Risiko der Überdiagnostik und der Übertherapie ausgesetzt. Der Grund: Niedergelassene und auch Krankenhaus-Ärzte ziehen überdurchschnittliche Gewinne aus dem Status des Privatversicherten.

"Niedergelassene und Krankenhausärzte ziehen einen größeren Teil ihres Einkommens aus Kundschaft, die eine private Krankenversicherung hat. Die werden alles in die Waagschale werfen, um Widerstand zu leisten."
Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz

Laut der Studie ist Deutschland europaweit das einzige Land, das sowohl ein gesetzliches als auch ein privates Krankenversicherungssystem parallel unterhält. Der Text beschreibt den Markt als segmentiert und verweist darauf, dass Privatversicherte im Schnitt 56 Prozent mehr als gesetzlich Versicherte verdienen. Auch seien sie im Schnitt gesünder.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Gesundheitssystem
Warum Privatversicherungen bleiben
vom 17. Februar 2020
Moderator: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz