Nicht nur aus der Ukraine fliehen die Menschen. Putins Angriffskrieg hat dazu geführt, dass auch viele Russinnen und Russen ihr Land verlassen, weil sie mit der Politik Putins nicht einverstanden sind. Einige dieser Geflüchteten kommen auch nach Deutschland. Doch was mit ihnen passiert, und ob sie hierbleiben können, das ist in vielen Fällen unklar.
Es sind zum Beispiel Journalistinnen und Journalisten, die in Russland nicht mehr arbeiten können. Oder Leute, denen es in ihrem Land zu gefährlich geworden ist, weil sie Putin und sein Regime öffentlich kritisiert und gegen den Angriff auf die Ukraine protestiert haben. Aber auch viele Menschen, die sich einfach unwohl fühlen und sagen: Ich möchte hier gerade nicht mehr sein.
Große russischsprachige Community in Deutschland
Bisher gibt es nur Schätzungen. Und diese gehen davon aus, dass zwischen 5.000 und 10.000 Menschen aus Russland nach Deutschland gekommen sind, sagt Walter Kaufmann, Referatsleiter für Ost- und Südosteuropa bei der Heinrich-Böll-Stiftung.
In Deutschland gebe es seit Langem eine große, russischsprachige Community, nicht nur aus Russland, sondern auch aus anderen russischsprachigen Ländern. Daher gebe es viele Anknüpfungspunkte, die es den Menschen, die jetzt ins Land kommen, einfacher machen.
"Schätzungen zufolge sind bisher zwischen 5.000 und 10.000 Menschen aus Russland nach Deutschland gekommen."
Die meisten Menschen seien sehr spontan aufgebrochen in einer Notsituation. Viele von ihnen seien geflohen, weil ihnen eine Verhaftung drohte. Insgesamt haben seit dem 24. Februar 2022 etwa 200.000 bis 300.000 Menschen Russland verlassen, so Kaufmann.
Die meisten seien in Länder gereist, in denen sie kein Visum brauchen, also etwa nach Georgien, Armenien oder in die Türkei. Viele seien in diesen Ländern gestrandet, einige seien aber auch weitergefahren in die EU, weil sie ein Schengen-Visum besitzen. Dieses ermöglicht ihnen aber lediglich einen Aufenthalt von bis zu maximal 90 Tagen. Es ist ein Touristenvisum, das ihnen nicht erlaubt, zu arbeiten oder in irgendeiner anderen Form an Geld zu kommen.
Nur mit Touristenvisum und ohne funktionierende Bankkarte
Dazu kommt, dass sehr viele Russinnen und Russen durch die Sanktionen der westlichen Länder auch kein Bankkonto mehr haben, auf das sie zugreifen können. Ihre Geldkarten funktionieren nicht mehr. Viele russische Geflüchtete sind also in einer schwierigen Ausgangssituation.
Verschiedene Menschenrechtsorganisationen bemühen sich gerade um diese Menschen, sagt Walter Kaufmann. Sie versuchen, ihnen zu einem rechtssicheren Aufenthaltsstatus oder einer Arbeitsgenehmigung zu verhelfen. Vor allem bei Journalisten, Anwältinnen oder Menschen aus Nichtregierungsorganisationen würden diese Versuche unternommen. Also bei Menschen, die unter großen Gewissensnöten aus Russland weggegangen sind.
"Verschiedene Menschenrechtsorganisationen bemühen sich gerade um die geflüchteten Russinnen und Russen. Denn diese wollen unbedingt weiter arbeiten, weiter helfen, weiter Netzwerke aufbauen."
Die betroffenen Menschen wollten unbedingt weiterarbeiten, zum Beispiel journalistisch. Sie wollten weiter informieren, weiter helfen und weiter Netzwerke aufbauen – jetzt eben aus dem Ausland. Dass diese Menschen schnell wieder arbeiten können, sei äußerst wichtig. Um ihnen das zu ermöglichen, was auch der Westen und die Heinrich-Böll-Stiftung in Russland befördern will, sagt Walter Kaufmann.
Böll-Stiftung hat Ortskräfte aus Russland abgezogen
Eigentlich arbeitet die Heinrich-Böll-Stiftung auch mit Ortskräften in Russland. Wie andere Organisationen hätte die Stiftung aber entschieden, diese Mitarbeiter:innen aus Sicherheitsgründen aus Russland herauszuholen und nach Deutschland zu bringen, sagt Walter Kaufmann.
Der Grund: Die Ortskräfte seien in Russland politisch exponiert und die Stiftungsarbeit schon seit längerer Zeit Drohungen ausgesetzt – öffentlichen Drohungen, aber auch Drohungen vonseiten der russischen Politik.
"Unsere Stiftungsarbeit ist in Russland schon seit längerer Zeit Drohungen ausgesetzt."
Aktuell arbeite die Stiftung daran, diesen Ortskräften hier in Deutschland einen Aufenthaltsstatus zu organisieren. Das sei aber nicht ganz einfach. Versucht werde, "gemeinsame Lösungen" zu finden für größere Personengruppen. Ganz ohne individuelle Prüfung werde es allerdings natürlich nicht gehen.
Solche individuellen Verfahren brauchten aber sehr viel Zeit – und natürlich seien die Ausländerbehörden im Moment massiv überlastet. Wenn man also nur auf die individuellen Prüfungen zurückgreift, werde das niemals reichen, um die Menschen schnell aus ihrer Notlage zu befreien.