Wer mehr leistet, der verdient auch mehr. So lässt sich das Prinzip einer sogenannten Leistungsgesellschaft formulieren. Doch zu einer gerechten Gesellschaft führt dieses Prinzip nicht. Ein Vortrag des Philosophen Stefan Gosepath.
Historisch war die Idee einer Leistungsgesellschaft oder Meritokratie, wie sie auch genannt wird, ein Fortschritt, sagt Stefan Gosepath. Er ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin.
"Wir brauchen Verdienst und Leistung als Kriterium, um Ungleichheit in der ökonomischen Sphäre zu begründen."
Nicht mehr der Stand und die Familie, in die man hineingeboren wird, sollen in einer Leistungsgesellschaft bestimmen, welche Stellung man in der Gesellschaft einnimmt. In einer Meritokratie kommt es vielmehr darauf an, wie viel und hart jede und jeder Einzelne selbst arbeitet. Wer mehr und härter arbeitet, bekommt mehr Geld und Ansehen – wer weniger tut, weniger. So die Theorie.
Wer entscheidet, ob jemand viel oder wenig geleistet hat?
Doch müsste nach diesem Prinzip nicht ein Professor, der seine Arbeit gerne macht, weniger verdienen als jemand, der hart körperlich arbeitet? Wer bestimmt, welche Arbeit wichtig ist? Wie legt man fest, ob jemand viel oder wenig leistet? Dazu kommt: Nur wenn alle die gleichen Ausgangsvoraussetzungen haben, wenn also eine echte Chancengleichheit besteht, kann ein Prinzip von "Wer mehr tut, verdient auch mehr" gerecht sein.
"Ohne Chancengleichheit hat das Verdienstkriterium gar keinen Sinn."
In seinem Vortrag argumentiert Stefan Gosepath, dass das nicht nur praktische Schwierigkeiten sind. Es ist prinzipiell nicht möglich, sagt er, dass wir faire Kriterien bestimmen, anhand derer wir Leistung messen und bewerten können.
Stefan Gosepath ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. Sein Vortrag trägt den Titel "Das Problem mit dem Verdienst". Er hat ihn am 05.12.2022 an der Freien Universität Berlin gehalten – im Rahmen der Vortragsreihe "Auseinandersetzungen über und in liberale(n) Ordnungen: Zur Kritik und Zukunft des liberalen Skripts". Veranstaltet wurde die Reihe vom DFG-Exzellenzcluster "Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS)".