Hortavie wünscht sich oft ein offenes Ohr und Mitgefühl. Stattdessen bekommt sie aber meist gut gemeinte Ratschläge. Wir sind häufig auf Lösungsorientierung geeicht, weshalb das manchen von uns schwerfallen kann, erklärt Psychotherapeut Lukas Maher.
Die meisten kennen es sicherlich: Abends vom Job nach Hause kommen und Frust schieben. Manche verschaffen sich ein Ventil, indem sie mit dem Mitbewohner oder der Mitbewohnerin darüber reden. Statt einfach nur zuzuhören, kommen dann Ratschläge. Etwa: 'Wenn dich dein Bürojob grad runterzieht, dann schmeiß' ihn doch hin und mach ein Café auf. Du bäckst doch gern und es muss ja kein großes Café sein.'
Ratschlag statt Zuhören: Die schnelle Lösung, die keine ist
Klingt vielleicht im ersten Moment konstruktiv, ist aber nicht unbedingt praktikabel. Und: Es ist in dem Augenblick auch gar nicht das, was wir uns von diesem Gespräch erhofft hatten. Statt eine Lösung vorzuschlagen, die möglicherweise gar nicht zu unserem Lebensstil passt, ist ein offenes Ohr manchmal einfach besser. Hortavie kennt dieses Gefühl sehr gut.
"Ich fühle mich dann auch nicht ernst genommen oder sehr oft nicht verstanden."
Manchmal möchte sie einfach mit Freunden über Dinge reden, die sie ärgern, stressen und frustrieren. Und bekommt prompt Vorschläge, wie zum Beispiel eine To-do-Liste zu erstellen oder ein Sparbuch anzulegen, wenn sie über Geldsorgen spricht. Eine schnelle Lösung, mit der Hortavie aber oft nichts anfangen kann.
Auf manche Ideen ist Hortavie selbst schon gekommen. Und andere sind nett gemeint, aber überhaupt nicht hilfreich, sagt sie. Nach so einem Gespräch ist sie dann unzufriedener als zuvor.
"Wir haben häufig so einen Lösungsimpuls, der erst mal menschlich ist, aber der dann letztlich zu schnell kommt und zu kurz greift."
Lukas Maher ist Autor und Psychotherapeut. Wenn es eine klare Lösung für ein Problem gibt, dann sollten wir dem auch nachgehen, sagt der Psychologe. Aber für alles sofort eine Lösung finden zu müssen, ist nicht immer zielführend, so Lukas Maher.
Dass wir uns oft auf Lösungen fokussieren, hängt damit zusammen, dass wir uns weitestgehend als Leistungsgesellschaft definieren. Dabei gibt es auch die Möglichkeit, den Fokus auf anderes zu legen: dass wir uns umeinander kümmern oder Gefühle und Situationen gemeinsam mit anderen aushalten, sagt der Therapeut.
"Gerade die traditionelle männliche Sozialisierung spielt da eine Rolle: Wenn man Handlungsorientierung und Fokussierung auf Lösungen als etwas nimmt, was auch eine Form von Emotionsverarbeitung ist."
Sich auf eine Lösung zu konzentrieren, ist ein Impuls, den wir beim Aufwachsen verinnerlichen, sagt der Therapeut. Vor allem bei der traditionell männlichen Erziehung wird die Lösungsorientierung wie eine Form der emotionalen Verarbeitung betrachtet.
Wie wir emotionale Kompetenzen lernen
Bei der traditionell weiblichen Sozialisierung sei es genau anders herum, deswegen könnten Frauen ganz andere emotionale Kompetenzen entwickeln, sagt der Psychotherapeut.
Manche Männer denken immerzu, dass sie handeln müssen, um voranzukommen. Sie treiben zum Beispiel exzessive Fitness, um die Emotionen nicht zulassen zu müssen. Es könnte ihnen aber mitunter auch helfen, sich ihren Gefühlen zu stellen und traurig zu sein. Ein Beispiel, was Lukas Maher nennt, weil er es aus eigener Erfahrung kennt.
"Ich kann noch mal die Rückfrage stellen und sagen: 'Ach Mensch, du willst gerade gar keine Lösung – kann das sein, dass du das gerade einfach nur mal loswerden musst?'"
Anne Güntzel ist Gründerin der Organisationsberatung Fuxlux. In Firmen berät sie Teams dabei, wie aktives Zuhören funktionieren kann. Bei manchen Themen haben verschiedene Menschen oft ganz unterschiedliche Bilder im Kopf.
Sie nutzt zum Beispiel den Begriff "Hund", um zu demonstrieren, dass wir je nach Alltag und Lebenserfahrung an ganz unterschiedliche Dinge bei einem bestimmten Begriff denken können. Der eine mag vielleicht an den Collie "Lassie" aus der Lieblingsserie in der Kindheit denken, der andere an einen Golden Retriever, von dem er mal gebissen wurde, oder an die Bulldogge der Großeltern.
Aktives Zuhören, kann dann bedeuten, kurz nachzufragen, um zu erfahren, welche Vorstellung und welche Bedürfnisse der andere hat. Im Alltag oder auch im Job warten wir oft nur ab, dass der andere seinen Satz beendet, um beispielsweise von unseren eigenen Erfahrungen mit Hunden zu berichten.
Rotwein oder Blaumann?
Im Freundeskreis der Kommunikationsberaterin Anne Güntzel hat sich inzwischen etabliert, einfach nachzufragen, was der andere sich gerade wünscht. Sucht er nach einer Lösung bei der Hundeerziehung oder erinnert er oder sie sich nostalgisch an den Familienhund, der vor einigen Jahren verstorben ist und möchte eine Anekdote teilen?
Für die Abfrage nach Bedürfnissen haben Anne Güntzel und ihre Freunde eine einfache Losung gefunden. Sie fragen einfach: "Rotwein oder Blaumann?". Blaumann, die Arbeitskleidung die Handwerker*innen oft tragen, steht für den Wunsch nach einem Rat oder einem Lösungsvorschlag. Rotwein ist das Symbol für ein entspanntes Gespräch mit Freunden, bei dem wir uns Verständnis, Mitgefühl oder ein offenes Ohr erhoffen.
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