Gut sechs Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig lesen oder schreiben, das ist das Ergebnis einer neuen Studie. Harald Gaul ist einer von ihnen. Er will es sich aber selbst beweisen, dass er es auch mit 49 noch schaffen kann.
6,2 Millionen Menschen in Deutschland haben eine geringe Lese- und Rechtschreibkompetenz, das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Hamburg, sie heißt LEO 2018 - Leben mit geringer Literalität.
Probleme im Alltag
Mehr als die Hälfte der Betroffenen hat Deutsch als Muttersprache. Diese "funktionalen Analphabeten" können zwar einzelne Wörter oder Sätze lesen und schreiben, bei zusammenhängenden Texten wird es aber schwierig. Es hapert beim Textverständnis. Dadurch werden für sie oft ganz alltägliche Dinge kompliziert: Viele scheuen sich zum Beispiel davor, den Telefon- oder Stromanbieter zu wechseln. Jedes Formular kann zur Herausforderung werden. Sechs von zehn Betroffenen haben laut der Studie zwar einen Job, allerdings mit geringem Verdienst.
"Mein Chef hat immer gesagt: 'Mann, wir müssen dich nochmal zur Schule bringen! So schlecht ist das alles doch gar nicht!'"
Harald Gaul (49) ist ehemaliger Analphabet und wohnt in Berlin. Nach der 9. Klasse ist er von der Schule gegangen, ohne je richtig lesen und schreiben gelernt zu haben. In der Berufsschule ist er nicht mehr mitgekommen und hat dann als Verkaufshilfe gearbeitet. In seinem Leben musste er sich oft durchmogeln, wie er sagt, denn er wollte nicht als Analphabet auffallen.
Scham und Hilflosigkeit
Als 2004 seine Mutter starb, hatte er Probleme, die Beerdigung zu organisieren. Das Formular beim Bestatter konnte er nicht ausfüllen, erzählt er: "Da ging das Schamgefühl immer hoch und runter."
"Man hat das sein halbes Leben lang verheimlicht."
Seit 2011 lernt Harald Gaul in einer Berliner Schreibwerkstatt Lesen, Schreiben und auch Rechnen. Er wollte es vor allem sich selbst beweisen. Mittlerweile kann er auch längere Texte verstehen, auch wenn er manchmal noch Fehler macht.
Anderen Mut machen
Harald Gaul ist schon seit längerer Zeit arbeitslos. Sein Ziel: Weiterlernen und einen Job finden. Und: Indem er über das Thema öffentlich redet, will er anderen Betroffenen Mut machen. Denn er habe es schon öfter erlebt, wie Leute wegen ihrer Leseschwäche runtergemacht wurden.
"Wenn man nicht lesen und schreiben kann und sich immer weiter zurückzieht, dann zieht man sich auch von anderen Sachen zurück, die wichtig für das Leben selbst sind."
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