Floskeln wie: "Da haste aber die Arschkarte gezogen" verwenden wir in unserem Alltag ziemlich oft. Der Spruch kommt aus dem Fußball – wie viele andere Floskeln auch. Linguist Simon Meier-Vieracker hat unzählige Fußball-Liveticker nach Floskeln dieser Art durchsucht und forscht nach ihrem Einfluss auf unsere Sprache.

Simon Meier-Vieracker ist eigentlich Radsportfan – mit Fußball kann der Linguist aber auch etwas anfangen. Zwar schaut er sich die Spiele eher selten an, dafür liest er aber unheimlich gerne die Liveticker. Unter anderem wegen der großen sprachlichen Kreativität, wie er sagt. Der Linguist an der TU Dresden forscht zum Einfluss von Fußball-Floskeln auf unsere Sprache.

Fußball-Floskeln sind teils schon Jahrzehnte alt

Für typische Floskeln hat Simon Meier-Vieracker auch direkt mehrere Beispiele. Sehr häufig auch in anderen Kontexten verwendet wird die "Rote Karte". "Man sagt, dass man jemandem eine Rote Karte zeigt, wenn man ihn verwarnen oder sogar ausschließen will", so Simon Meier-Vieracker. Das sei schon seit vielen Jahrzehnten in den Sprachgebrauch übergegangen.

"Den ersten Beleg für die Floskel "die Rote Karte zeigen" habe ich in der Presse im Jahr 1976 gefunden, wo gefordert wurde, den Linken mal die Rote Karte zu zeigen."
Simon Meier-Vieracker, Linguist am Germanistischen Institut der TU Dresden

Weitere Beispiele für gängige Fußball-Floskeln in unserer Sprache seien:

  • "jemandem reingrätschen" - wird häufig verwendet, wenn wir jemanden beim Sprechen unterbrechen
  • "Den Ball flach halten" - nicht so einen Wind um eine Sache machen
  • "Die Champions League der..." - als Synonym für "besonders erfolgreich"

Mehrere Theorien zum Ursprung der Arschkarte

Zum Ursprung des Ausdrucks "Arschkarte ziehen" gebe es mehrere Theorien, sagt Simon Meier-Vieracker. Am häufigsten genannt werde die Begründung, dass Schiedsrichter die Gelbe Karte in der Brusttasche und die Rote Karte in der Gesäßtasche haben. "Die Arschkarte ziehen bedeutet so viel wie 'Pech haben' – ist aber nur eine Theorie. Man weiß schlussendlich nicht, woher es kommt", sagt der Linguist.

Fußball-Floskeln gibt es in allen Ländern

Für seine Untersuchungen nutzt der Linguist unter anderem computerlinguistische Methoden der Auswertung. Er sammelt nicht nur Material aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern wie Spanien, Frankreich, Italien, England oder Griechenland. Die Floskeln aus anderen Ländern ließen sich zwar schwer mit den Deutschen vergleichen, aber man könne feststellen, dass jedes Land seine eigenen Fußball-Floskeln habe. Für bestimmte Aktionen im Fußball gebe es aber durchaus sprachspezifische Pendants.

"Wenn man in Deutschland mit 'offenem Visier' spielt, legt man in Spanien 'alles Fleisch auf den Grill'."
Simon Meier-Vieracker, Linguist am Germanistischen Institut der TU Dresden

180 verschiedene Ausdrücke für "schießen"

Sehr beeindruckt ist Simon Meier-Vieracker von der Kreativität der Sprache, wenn darum geht, "schießen" zu umschreiben. Da habe er 180 verschiedene Ausdrücke gefunden. Darunter seien gängige, wie dreschen, zimmern oder nageln – aber auch ausgefallene wie schallern, zuckern oder trümmern.

"Gute Wortneuschöpfungen können wir beim Liveticker von 11 Freunde abgreifen. Da hört man dann Sätze wie 'Er buttercremt den Ball ins Tor'."
Simon Meier-Vieracker, Linguist am Germanistischen Institut der TU Dresden

In seiner Analyse fällt Simon Meier-Vieracker auf, dass Floskeln eine große Stabilität aufweisen. Beispielsweise sei in alten Aufnahmen zum "Wunder von Bern" schon "Er legt den Turbogang ein" zu hören, eine Floskel, die immer noch verwendet wird.

Gerade bei den Floskeln sei es erstaunlich, wie wenig sich verändere. Aber es gebe auch Trends in der Sprache der Berichterstattung. Ein Trendwort sei aktuell beispielsweise das "Gegenpressing". Dieser Ausdruck werde häufig von Journalisten verwendet, und sei so eine Art Modewort. Der Linguist bezweifelt aber, ob sich die Spielweise, die dahinter steckt, grundlegend neu sei.

Shownotes
Linguistik und Fußball
"Arschkarte": Wie Fußball-Floskeln unsere Sprache prägen
vom 16. September 2019
Moderatroin: 
Tina Howard
Gesprächspartner: 
Simon Meier-Vieracker, Linguist am Germanistischen Institut der TU Dresden