In ihrem ersten und verstörenden Roman "Und dann verschwand die Zeit" lässt Jessie Greengrass die Erde untergehen - bis auf ein altes Haus auf einer Anhöhe. Vielleicht.

"Es ist alles eine Frage der Vorbereitung", hört Sally die fremde Frau sagen. Früher hat Sally sie bewundert, aber heute traut sie ihr nicht. Es sind Sommerferien – und seit Sallys Rückkehr nach Hause zu ihrem Großvater ist kein Tag vergangen, an dem sie nicht auch da war: Francesca, die leidenschaftliche Wissenschaftlerin, die zornige Umweltforscherin, über die alle reden. Und plötzlich sitzt diese berühmte Frau auf der Bank im Garten auf Sallys Platz neben Grandy, wie Sally ihren Großvater nennt.

Sally fragt sich, was Francesca hier will. Sie kann nicht freundlich zu ihr sein. Sie weiß, dass das kindisch ist, aber sie kann trotzdem nicht aus ihrer Haut. Ist sie eifersüchtig? Hat sie Angst?

Die Landzunge hat das Meer längst verschluckt

Zuerst wird Sally nicht schlau daraus: Francesca und Grandy reden immer nur über das Leben im Dorf und über die letzte große Flut. Da sei Grandy sieben oder acht Jahre alt gewesen. Ewig her. Francesca lässt nicht locker. Wie das Dorf geformt wurde, davon berichtet Grandy gern. Von den Bemühungen, das Meer zurückzuhalten, und von der Landzunge, auf der er im Sommer oft gelegen hat, zwischen Regenpfeifern, Austernfischern und Kiebitzen. Heute gibt es diese Landzunge nicht mehr. Die Flut hat sie weggespült und damit den gesamten Hafen des Dorfs.

"In ihrem berührenden und verstörenden Roman spielt Jessie Greengrass durch, welche Chance Menschen haben, wenn sie wissen, dass sich eine Umweltkatastrophe nicht mehr abwenden lässt."
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Rezensentin

Einmal traut sich Sally, Francesca anzusprechen. Es geht gerade einer dieser starken, andauernden Sommerregen runter, an die sie sich schon gewöhnt haben.

Francesca spricht wieder davon, dass nichts und niemand übrigbleiben wird. Das höchstgelegene Haus im Dorf, das sogenannte High House, renoviert die Forscherin, repariert die Mühle und legt einen Garten an. Doch welchen Sinn hat das noch, wenn es längst zu spät ist?

Was noch zu tun bleibt

Die südliche Erdhalbkugel ist wegen der Hitze nicht mehr bewohnbar. Und auf der Nordhalbkugel kämpfen die Menschen mit Waldbränden und Überschwemmungen. Warum also das Haus? Doch Francesca sieht Sally an, fast liebevoll, und sagt lächelnd: "Wir können die Folgen nicht mehr abwenden. Uns bleibt nur zu entscheiden, wen wir retten wollen."

In ihren Augen ist das nur eine Frage der Vorbereitung: Wenn alles unter Wasser steht, wenn nur noch die Dächer der Häuser in den Fluten zu sehen sind und keine Infrastruktur mehr existiert, sollen sie alles haben, was sie zum Überleben brauchen: ein Boot, eine Wassermühle für die Stromerzeugung, einen Garten für die Selbstversorgung – und einander.

Das Buch: "Und dann verschwand die Zeit" (OT: "The High House") von Jessie Greengrass, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Andrea O’Brien, Kiepenheuer & Witsch, 286 Seiten, gebundene Ausgabe (Hardcover): 22 Euro, E-Book: 18,99 €, Hörbuch-Download: 6,95 Euro; ET: 04. Mai 2023

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment...
...wenn du gute Gründe für mehr Klimaschutz brauchst
vom 13. August 2023
Autorin: 
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Rezensentin