Im Sommer hatte grauer Schleim auf dem türkischen Marmarameer für Aufsehen gesorgt. Der Schleim – Meeresrotz genannt – ist nun weg, aber das Problem bleibt: ins Meer geleitetes Abwasser.
Im Sommer war das Marmarameer in der Türkei bedeckt von einem gräulichen Schleim, der international für Aufsehen gesorgt hatte. Im Grunde war die Sache aber schnell erledigt, denn der Schleim an sich ist nicht weiter schlimm. Es handelt sich dabei um Abbau-Produkte von Algen. Die türkische Regierung hat dann Boote und Reinigungstrupps aufs Meer geschickt, die den Schleim eingesammelt haben.
"Das Meer darunter ist trotzdem noch krank, eigentlich sogar tot", sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Markus Dichmann, denn die Forschenden des Marmara-Überwachungsprojekts Marem haben das türkische Binnenmeer tatsächlich für tot erklärt.
"Hauptgrund ist die Benutzung dieser Unterströmung, die wollen mit dieser Unterströmung diese Abfälle ins Schwarze Meer tragen. Aber das geht nicht. Nur 10 Prozent dieser Unterströmung kann das Schwarze Meer finden."
Der Biologe Levent Artüz leitet das Marem-Projekt seit fast 30 Jahren und erklärt, dass eine gescheiterte Abwasser-Strategie das eigentliche Problem sei. Städte und Gemeinden entlang der Küste des Marmarameers leiten seit 30 Jahren ihr Abwasser ins Meer – in der Annahme, dass eine starke Unterströmung des verschmutzte Wasser einfach weiterleitet. Allerdings funktioniere das so nicht. Nur 10 Prozent der Abwässer gelangen so ins Schwarze Meer, erklärt Levent Artüz.
"Der sowieso schon sehr fragwürdige Plan, das Abwasser einfach in ein benachbartes Gewässer zu leiten, ist also nie aufgegangen."
Der Großteil des Abwassers bleibt also im Marmarameer - und bildet so einen Nährboden für die Algen, die im Sommer den Schleim produziert haben. Reporter Markus Dichmann hört von türkischen Kollegen, dass der "Schleim" zu einem Symbol für alle Themen im Land geworden sei, die zu lange ignoriert werden.
Biologe Levent Artüz warnt seit Jahren vor den Folgen für das Meer. Die Biodiversität nehme jedes Jahr ab. "Das ist ganz normal, wenn man so Verschmutzungen hat. Früher waren es 124 ökonomische Fischarten. Jetzt haben wir Null", sagt er.
Abwasser im Meer – ein Problem für Natur, Wirtschaft und Gesundheit
Das heißt, auch wirtschaftlich gesehen, hat das Marmarameer starke Einbußen. "Die Fischer, die zum Beispiel in Istanbul auf der berühmten Eminönü Brücke stehen, und vor den Augen der Touristen vermeintlich frischen Fisch aus dem Bosporus angeln, kaufen den in Wahrheit schon lange in Norwegen ein", berichtet Markus Dichmann.
Auch Biologen warnen vor der dreckigen Brühe. Sie befürchten, dass das Marmarameer Nährboden für diverse gefährliche Krankheitserreger werden könnte.
"Im Juni wurde ein Aktionsplan mit 22 Punkten verabschiedet. Unter anderem sollen die Fabriken entlang der Küste online überwacht werden, neue Kläranlagen sollen gebaut werden, und es gab Hilfsgelder für betroffene Fischer."
Die Regierung habe durchaus reagiert, so die Journalistin Aynur Tekin, die die Situation schon länger verfolgt und für die Online-Zeitung "Gazeta Duvar" arbeitet. Unter anderem sollen neue Kläranlagen gebaut werden und Fabriken entlang der Küste überwacht werden. "Aber bisher wurden kaum Maßnahmen ergriffen, um den 22-Punkte-Plan auch wirklich umzusetzen. Dabei warnen alle Experten: 'Kein einziger, weiterer Liter ungeklärten Wassers dürfe ins Marmarameer gepumpt werden'", sagt Aynur Tekin.
Das Thema Umweltschutz hat keine allzu große Unterstützung in der Öffentlichkeit. Bis jetzt. Denn es tut sich was: Eine grüne Partei hat sich gebildet und kämpft um die Zulassung zu den nächsten Wahlen. Und auch Umweltorganisationen und Protestgruppen erfahren nach und nach Zulauf. Die 14-jährige Dila Kaya engagiert sich bei der türkischen Version von Fridays For Future. Sie glaubt, dass den jungen Menschen in der Türkei Umweltthemen wichtig sind.
"Die jungen Leute, die bald zum ersten Mal wählen werden, die wollen, dass die Parteien sich grüne Lösungen einfallen lassen, dass sie sich der Öffentlichkeit erklären, dass sie einfach mehr unternehmen, auch zum Beispiel beim Schleim-Problem."
Aktuell schieben sich Parteien allerdings gegenseitig die Schuld in die Schuhe, anstatt wirklich aktiv zu werden. Die regierende AKP um Präsident Erdogan wirft der Opposition vor, sie hätte diese Praxis der Tiefsee-Verklappung überhaupt erst eingeführt. Und die Opposition hält dagegen, dass Erdogan und die AKP inzwischen 20 Jahre Zeit gehabt hätten, etwas daran zu ändern.
Das Problem könnte sich noch ausweiten
Die nächsten Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind 2023. Bis dahin wird sich eine der größten Öko-Katastrophen Europas vermutlich noch verschärfen. Und das tote Marmarameer wird kein rein türkisches Problem mehr bleiben, vermutet Levent Artüz: "Wir benutzen das Marmarameer wie ein Schmutzbecken. Und das hat Verbindungen zum Schwarzen Meer. Über die obere Strömung exportieren wir diese Verschmutzung ins Mittelmeer." In Zukunft könnte das Problem also noch weitere Länder betreffen.