Die Inzidenzzahlen brechen täglich neue Rekorde, dennoch wird auch in Deutschland gelockert. Für den Modellierer Thorsten Lehr ist das der falsche Weg. Unter anderem, weil die Annahme unbegründet ist, Herdenimmunität zu erreichen.
Dänemark hat gerade beschlossen, die Corona-Beschränkungen vollständig aufzuheben. Auch bei uns in Deutschland sind bei Konzerten und in Fußballstadien wieder mehr Menschen erlaubt, in Hessen und Schleswig-Holstein fällt nächste Woche die 2G-Pflicht in Geschäften. Doch ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um Lockerungen zu beschließen?
"Rein infektiologisch machen Lockerungen eigentlich keinen Sinn", sagt Thorsten Lehr, Modellierer und Professor an der Universität des Saarlandes. Gerade würden die letzten Delta-Erkrankten die Intensivstationen verlassen, während die ersten Omikron-Erkrankten auf die Intensivbetten angewiesen seien.
"Wir müssen vorsichtig sein mit den Lockerungen. Wenn wir zu schnell öffnen, kann es auch sein, dass wir sie wieder zurücknehmen müssen."
Auch könne er derzeit eine allgemeine Impfresignation bei Erst-, Zweit-, und Drittimpfungen beobachten. Immer noch gebe es vor allem bei den über 60-Jährigen viele, die sich noch nicht haben impfen lassen.
Zu geringe Immunantwort bei Omikron
Und auch, wenn die Omikron-Variante meist nur milde Verläufe hervorrufe, bedeuten viele Infizierte immer eine Gefährdung der Infrastruktur. Je mehr Infektionen wir haben, desto mehr Menschen fallen gleichzeitig aus. Je langsamer man öffne, desto besser könnte man diese Ausfälle abpuffern, sagt Thorsten Lehr.
Eine Hoffnung, die mit vielen Infektionen einher geht: Herdenimmunität. Wenn erst mal ausreichend viele Menschen vollständig geimpft und/oder genesen sind, ist die Pandemie vorbei. Modellierer Thorsten Lehr sagt: Genau das wird nicht der Fall sein.
Denn: Die Immunantwort des Körpers auf Omikron ist zu gering, als dass er ausreichend Antikörper bilden könnte. Was bleibt: Die Impfquote steigern.
"Die Krankheitsverläufe durch Omikron sind nicht schwer genug, als dass genug Immunantwort produziert werden würde."
Darauf zu hoffen, dass Omikron nun einmal durch die Gesellschaft durchrausche, wäre seiner Ansicht nach fahrlässig. Erstens, weil dadurch keine Herdenimmunität erreicht wird. Zweitens, weil die möglichen Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung, etwa Long und Post Covid, noch nicht ausreichend erforscht sind. "Wir wissen noch nicht, was die Langzeitfolgen des Virus sein können", sagt Thorsten Lehr.
Viele Viren würden langfristig schwere Krankheiten auslösen wie beispielsweise das Humane Papillomvirus (HPV), das Gebärmutterhalskrebs begünstigen kann.
Fehlende Kommunikation
Während in Ländern wie Schweden oder Dänemark klar kommuniziert werde, welche Strategie das Land fahre, fehle es uns in Deutschland an einer deutlichen Kommunikation seitens der Politik, kritisiert Thorsten Lehr. Die Dänen und Schweden würden die politischen Entscheidungen mittragen, sie wüssten, welche Konsequenzen eine vollständige Öffnung haben könnte.
"Die Politik müsste einfach sagen, was sie will, und daran fehlt es. Dann fällt es der Bevölkerung schwer, der Sache zu folgen."
In seinen Augen sei das Ziel, maximale Freiheit bei einer Nichtüberlastung des Gesundheitssystems zu erreichen. Doch das werde nicht konkret genug kommuniziert, was es auch der Bevölkerung schwer mache, mit den beschlossenen Maßnahmen mitzugehen.