Jahrelang war der Bau der Pipeline "Nord Stream 2" umstritten. Denn sie ermöglicht die Lieferung von Gas direkt aus Russland nach Deutschland – ohne den Umweg über die Ukraine. Die USA hat sich gegen das Projekt gestellt, jetzt aber beigegeben.
Es ist ein riesiges Projekt: Zwei Stränge, 1.230 Kilometer lang, 30 Meter unter dem Meeresspiegel. Nord Stream 2 ermöglicht so die Gaslieferung aus Russland direkt nach Deutschland. Die USA hat sich jahrelang gegen das Projekt gestellt - jetzt hat Joe Biden die angedrohten Sanktionen fallen gelassen. Politikwissenschaftler Thomas Jäger meint: Die Situation für den amerikanische Präsidenten war verzwickt.
"Joe Biden saß in der Klemme, als er ins Amt kam: Die Pipeline war fast zu 90 Prozent fertig gestellt. Der Kongress verlangte aber von ihm die Fertigstellung zu verhindern."
Schließlich hätten Sanktionen gegen die Pipeline einen Konflikt mit Deutschland bedeuten können. Deutschland wiederum ist aber ein wichtiger Verbündeter der USA gegen China, sagt Politikwissenschaftler Thomas Jäger. Am Ende habe der Präsident diesen Konflikt zugunsten des Verbündeten entschieden – und nachgegeben.
Kongress will Fertigstellung immer noch verhindern
Joe Biden und Angela Merkel mögen sich jetzt zwar geeinigt haben, doch der amerikanische Kongress sieht die Sache immer noch anders. Er will die Fertigstellung der Pipeline nach wie vor verhindern.
Sollte die Pipeline aber fertig gestellt werden, hat der amerikanische Präsident versichert, sich mögliche Sanktionen gegen Russland vorzubehalten. Kein starkes Druckmittel, findet unser Experte. Denn: Welche sollten das sein?
"In dem Moment, in dem die Pipeline fertig ist, wird dort Gas transportiert, mit dem Deutschland rechnet und kalkuliert. Mit Sanktionen wäre diese Versorgung gefährdet."
Ein Freundschaftsdienst für Deutschland, doch der große Verlierer könnte die Ukraine sein. Die befürchtet, dass Russland seine wachsende Machtposition ausnutzen könnte, um den Konflikt in der Ostukraine wieder zu verschärfen. Unser Experte glaubt: Diese Befürchtung ist mehr als berechtigt.
Druck auf Ukraine steigt
Denn aus der Sicht Russlands habe es bisher genau einen Grund gegeben, auf das Land Rücksicht zu nehmen und zwar, dass darüber Gas in den Westen geleitet wurde. Dieser Vertrag laufe aber in drei Jahren aus. Ab dem Zeitpunkt habe die Ukraine gegen Russland kaum etwas in der Hand. Die russische Regierung habe dann die Möglichkeit das Land weitaus stärker unter Druck zu setzen.
"Die versprochenen Zahlungen von Deutschland werden nicht ausgleichen können, was die Ukraine jährlich an Transit-Gebühren verliert."
Deutschland hat zwar im Gegenzug versprochen, Ausgleichszahlungen an die Ukraine zu leisten. Das Problem: Geplant sind bisher 400 Millionen Euro (Stand: 22.07.2021). Die Transit-Gebühren lagen aber bei zwei Milliarden Euro – Geld, das der Ukraine in Zukunft fehlen wird.
Ukrainischer Präsident nennt Nord Stream 2 "eine Waffe"
Im Juni bezeichnete der ukrainische Präsident Selenskyj die Pipeline als eine "Waffe in den Händen der Russischen Föderation". Auch Politikwissenschaftler Thomas Jäger glaubt nicht, dass sich dieses Machtinstrument entschärfen lässt.
Denn diejenigen, die das Gas abnehmen, müssten gegen ihre eigenen Interessen handeln, wenn sie Russland dafür sanktionieren wollen, kein Gas mehr über die Ukraine zu liefern. Solche Mittel hatte Angela Merkel angekündigt, falls Russland kein Gas mehr über die Ukraine liefern sollte. Das aber ist ein Paradoxon und lässt sich nach Meinung des Experten auch nicht auflösen.
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