Kinder beginnen im Alter von drei Jahren, zu petzen. Das ist gut, sagen Forscherinnen, weil sie so soziale Normen lernen.

Entwarnung für all diejenigen, die zum Beispiel kleine Kinder haben und sich darüber ärgern, dass die Kleinen ihre Freunde und Feinde im Kindergarten verpfeifen: Gehört halt dazu zum Großwerden und es hilft ihnen, die Regeln des Miteinanders zu verstehen. Das haben zwei Psychologinnen herausgefunden.

Nicht alle Charaktereigenschaften sind uns angeboren. Einige entwickeln sich erst im Laufe des Lebens. Aristoteles zum Beispiel unterteilte die Tugenden des Menschen in die des Verstandes und in die der Ethik. Und Letztere muss jeder von uns erst noch entwickeln, erklärt die Philosophin Rita Molzberger: "In seiner Philosophie ist es tatsächlich so, dass wir das Maß, also die rechte Mitte finden müssen." Die Definition vom "rechten Maß" ist aber auch etwas, was sich von Mensch zu Mensch unterscheidet.

Aufs Petzen bezogen heißt das: Irgendwann wird uns klar, dass das Petzen für den Betroffenen negative Konsequenzen haben kann. Wir machen vielleicht auch die Erfahrung, dass andere uns verpetzen - und das es ziemlich unangenehm sein kann.

"Das ist so die klassische goldene Regel. Die wird heute gerne mit Gefühlen begründet. Man kann das auch verstandesmäßig begründen. Da wären wir beim Kategorischen Imperativ, bei Kant."
Rita Molzberger, Philosophin

Der Kategorische Imperativ: Darf das, was ich da gerade mache, zur Maxime des menschlichen Handelns werden? Oder anders gesagt: Möchte ich in einer Welt leben, in der alles und jeder petzt, in der jeder Kontrolle ausübt? Rita Molzberger gibt auch zu bedenken: "Was man berücksichtigen muss, ist, dass man mit dem Petzen mehr Glauben an eine höhere Instanz hat, als an die Eigenwirksamkeit."

Wenn der kleine Hannes seinem Papa also petzt, dass sein Bruder Frederick ihn gehauen hat, dann erhofft er sich davon einen größeren Effekt, als wenn Hannes Frederick selber sagt, dass das nicht klargeht.  Wenn wir jetzt den Papa durch das Ordnungsamt ersetzen. Und "hauen", durch beispielsweise "nachts laute Musik hören", wird klar, dass wir uns mit diesen Fragen – petzen oder nicht – auch noch sehr viel später im Leben herumschlagen.

"Wenn man sich das nicht traut, weil man sich sagt: 'Nee, nee, ach meine Selbstwirksamkeit ist da eh viel zu gering' - das finde ich dann neuralgisch."
Rita Molzberger, Philosophin

Wenn wir unsere eigene Wirkung so gering einschätzen, dass wir eigenmächtig sowieso nichts ausrichten können, dann wenden wir uns in unserer Hilflosigkeit an eine höhere Instanz. Früher an Eltern oder Lehrer. Heute eben an Ordnungsamt, Polizei oder Vorgesetzte. Und ganz im Ernst: Manchmal ist das spießig und falsch und manchmal ist es für uns vielleicht auch einfach nicht anders lösbar.

"Es kann ja auch nicht sein, dass wir alles Fehlverhalten einfach schlucken aus falsch verstandener Höflichkeit."
Rita Molzberger, Philosophin

Die Philosophin Rita Molzberger sagt, dass es natürlich Situationen gibt, in denen wir als Einzelperson nicht viel ausrichten können und es da sinnvoll sein kann, das Fehlverhalten anderer zu melden. 

Sprich: Wenn der Nachbar jede Nacht die Musik aufdreht und dann, bei der wiederholten freundlichen Frage, ob er die Musik nicht ein bisschen leiser drehen könnte, ein grobes Anschnauzen zurückkommt. Dann können wir ruhigen Gewissens vielleicht auch mal beim Ordnungsamt petzen.

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Shownotes
Psychologie
Ohne Petzen geht's nicht
vom 06. April 2018
Moderator: 
Thilo Jahn
Autorin: 
Rebekka Endler