Philip Schlaffer rutschte früh ins rechtsextreme Milieu: Waffen, Gewalt und Drogen waren sein Alltag – bis es einen Mord gab. Im Gefängnis kam der Wandel. Heute ist er Sozialarbeiter und Antigewalttrainer. Im Interview erzählt er Sebastian Sonntag von seinem früheren Leben, und warum er sich heute zugesteht, glücklich sein zu dürfen.
Philipp Schlaffer hatte schon mit 18 Jahren eine Kalaschnikow bei sich zu Hause. Holocaust-Leugnung, Steinewerfen auf Demonstrationen, andere Menschen verprügeln – das war normal. Philip Schlaffer war Neonazi. Noch als Jugendlicher hat er sich radikalisiert; vor allem über Rechtsrock, erzählt er, wo es meist um Antisemitismus und Patriotismus geht. "Wenn man sich das von morgens bis abends reinzieht, macht das etwas mit einem jungen Gehirn", sagt Philipp.
"Ich habe mein erstes komplettes menschenfeindliches Weltbild nur durch Musik bekommen."
Philip Schlaffer war in der Schule der typische Außenseiter. Als er zehn war, musste er mit seinen Eltern nach Nordengland ziehen. Als er mit 14 zurück kam, hatte er keinen Anschluss und war schlecht in der Schule – selbst in Englisch, weil die Lehrerin seinen Akzent nicht verstand.
Rebellion: Hakenkreuzfahne war krasser als Nirvana
Während alle anderen Nirvana hörten, suchte er sich einen anderen Weg für Rebellion – etwas krasseres: "Eine Hakenkreuzfahne zu Hause ist natürlich ein anderes Statement als Grunge hören."
"Alle anderen hatten einen Freundeskreis. Ich nicht. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich das erste Mal einsam gefühlt."
Seine Eltern seien sein erstes Feinbild gewesen, erinnert sich Philip Schlaffer. Er sagt von sich selbst, dass er ein ungeheures Aggressionspotential in sich trage. Seine Familie habe damals Angst vor ihm gehabt.
Rechte Szene als Familienersatz
Die rechtsradikale Szene sei sein Familienersatz geworden, sagt Philip Schlaffer. Und wenn man da einmal drin sei, sei der Weg raus ungemein schwer, "weil du dich völlig abschottest von allen anderen". Die Musik habe seinen Selbstwert aufgebaut, sagt er heute – es ging um Zugehörigkeit und Identität. Das böte der Rechtsextremismus.
Was Philip Schlaffer damals auch gefiel: In der Schule war er zusammen mit einer kleinen Gruppe eine gefürchtete Person. Rückblickend sagt er: "So komisch das klingt, wir haben das vollkommen genossen."
"Ich habe mich als Täter entschuldigt"
Aus der Schulzeit berichtet Philip Schlaffer von einem prägenden Erlebnis, das ihn später wieder einholen sollte. Er verprügelte seinen Mitschüler Jan so schwer, dass dieser Zähne verlor und einen Rückenwirbel angeknackst hatte. Für Philip war das damals kein großes Ding – er prügelte sich ständig und vergaß es auch schnell wieder. Für Jan war es aber ein Erlebnis, das ihn Jahre beschäftigte und sein Leben negativ beeinflusste.
Heute sind die beiden befreundet. Denn Jahre später, nachdem Philip Schlaffer längst dem Rechtsradikalismus den Rücken gekehrt hatte, trafen sich die beiden auf einem Parkplatz und Jan sprach ihn an. Er berichtete Philip von der Prügelattacke aus seiner Sicht, dass er ein Trauma davongetragen hatte – und Philip entschuldigte sich.
"Jan tat es sehr gut, dass ich mich als Täter entschuldigt hatte. Mir geht es nicht um Reue. Ich konnte ihm nur sagen, dass es mir leid tut."
Die Begegnung mit Jan hat in Philip Schlaffer einen Prozess ausgelöst. Ihm ist es ungeheuer peinlich, dass er sich an seine Prügelattacke kaum noch erinnern konnte, für Jan aber ein einschneidendes Erlebnis war. Rückblickend sagt er von sich, dass er ein "empathieloses Schwein" gewesen sei: "Hauptsache Gewalt ausüben... Ich merkte das gar nicht mehr, wie normal die Gewalt für mich ist."
Sein Wandel kam, als Philip Schlaffer im Gefängnis saß. Dort hat er sich Hilfe gesucht – und bekommen. Der Weg aus der rechten Szene sei kein "buddahähnlicher Erkenntnismoment" gewesen, sagt er. Es sei ein Prozess – ein langer Prozess. Denn über Jahre gewachsene Gewaltstrukturen ließen sich nicht von heute auf morgen auflösen.
Sich selbst erlauben, glücklich zu sein
Der Weg heraus sei für ihn die beste Entscheidung gewesen. Heute sei er viel glücklicher – und erlaube sich auch, glücklich zu sein.
"Am Anfang der Veränderungen habe ich gedacht, ich habe kein Recht darauf, glücklich zu sein. Bin ich noch liebenswert? Darf ich glücklich sein und so weiter. Aber was würde es der Gesellschaft bringen?"
Philip Schlaffer ist es heute peinlich, wenn er beispielsweise zum Arzt geht und sich obenrum freimachen muss – dann sieht der Arzt nämlich die ganzen Nazi-Tätowierungen von früher. Philip sagt dann, dass das aus einer anderen Zeit stammt. Er habe zu 99 Prozent positive Erfahrungen gemacht, berichtet er. Das Resozialisierungsprogramm habe bei ihm funktioniert.
Er wertschätzt auch, dass er heute in Schulen gehen darf, für verschiedene Ministerien arbeitet und Vorträge über rechte Musik hält. Er will seine Vergangenheit nicht jeden Tag bereuen, sagt er, aber er wolle etwas zurückgeben. Und der Staat, den er damals zerstören wollte, habe ihm die Hand gereicht.