Wenn uns unsere beste Freundin anruft, erkennen wir das schon an der Stimme. Für Menschen mit Phonagnosie ist das weniger klar: Für sie könnte das auch die Mutter oder die Chefin sein. Phonagnosiker haben Probleme damit, bekannte Personen - auch Freunde und Verwandte - an der Stimme wieder zu erkennen.

Stellt euch vor, eure beste Freundin Miriam ruft an und ihr habt keine Ahnung, wer da spricht. Klar, eine Frau, Ende 20 vielleicht, sie klingt fröhlich - aber ihr habt keine Ahnung, ob es Miriam, Steffi oder Claudia aus der Wohnung nebenan ist. Bis die Frau lacht, und ihr euch sicher seid: Gott sei Dank, es ist Miriam.

So geht es Menschen mit Phonagnosie. Der Begriff stammt aus dem Griechischen: "Phon" bedeutet Stimme, "Agnosie" das "Nicht-Erkennen". Menschen mit dieser Wahrnehmungsstörung können Personen, die ihnen eigentlich vertraut sind, nicht an ihrer Stimme wiedererkennen. Sie hören zwar, ob ein Mann oder eine Frau spricht, und nehmen auch die Emotionen in der Stimme wahr. Anhand des Gesichtes oder der Namens können sie Personen dann auch problemlos zuordnen - nur die Stimme allein kommt ihnen nicht bekannt vor.

Nur wenige bekannte Fälle von angeborener Phonagnosie

Phonagnosie ist bis jetzt noch kaum erforscht worden. Bis vor kurzem waren auch vor allem Fälle bekannt, bei denen die Wahrnehmungsstörung durch eine Hirnschädigung auftrat, also zum Beispiel nach einem Schlaganfall. Phonagnosie kann jedoch auch angeboren auftreten - nur war es für die Forscher bis jetzt schwierig, Betroffene mit einer angeborenen Form zu finden. In Deutschland wird am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften zu dem Thema geforscht.

"Ich glaube, vielen Betroffenen fehlt das Bewusstsein, dass sie damit Probleme haben - sie gehen davon aus, dass um sie herum alle Leute die gleichen Schwierigkeiten haben."
Claudia Roswandowitz, Max-Planck-Institut in Leipzig

Phonagnosiker entwickeln für den Alltag oft Strategien, die ihnen helfen, mit der Wahrnehmungsstörung umzugehen. So achten sie zum Beispiel auf den Idiolekt einer Person, also auf seine persönliche Art zu sprechen. Dazu gehört unter anderem, ob er mit Dialekt spricht, immer "Moin" statt "Hallo" sagt oder ob sein "s" besonders scharf ist. Und manche ihrer Freunde und Verwandten erkennen Phonagnosiker auch tatsächlich an ihrem Lachen.

Shownotes
Phonagnosie
Wer spricht da?
vom 12. August 2015
Moderatorin: 
Andrea Rönsberg
Gesprächspartnerin: 
Claudia Roswandowitz, Max-Planck-Institut in Leipzig