Viele Plätze und Straßen in London wurden privatisiert – so auch das Areal rund um das Rathaus, das ja eigentlich ein Ort öffentlicher Debatten ist. Und auch in Deutschland gibt es schon einige dieser pseudo-öffentlichen Plätze. Was sind die Konsequenzen, wenn öffentliche Plätze plötzlich privat sind?
Das Rathaus ist für eine Stadt ein sehr wichtiger Ort, es ist ein öffentlicher Ort. In London gerät dieser öffentliche Ort aber unter Druck. Denn ironischerweise ist das ganze Areal rund um das Londoner Rathaus mit all den Wegen, dem Park und der Uferpromenade in Privatbesitz – so wie viele andere Plätze und Straßen auch, sogar ein ganzes Innenstadtviertel.
Demonstration? Fragen sie den Eigentümer
London im Jahr 2011: Es ist die Hochphase der Occupy-Bewegung. Die Demonstranten geben sich den Namen "Occupy London Stock Exchange" - übersetzt mit: "Besetzt die Londoner Börse". Eine Menschenmenge versucht, auf den zentralen Platz vor der Londoner Börse vorzudringen. Doch zur Demo vor der Börse wird es nicht kommen. Die Polizei riegelt den Platz hermetisch ab.
"Die Menschen dürfen nicht durch, denn der große Platz vor der Börse ist nicht öffentlich. Auch wenn er so aussieht. Es ist Privatgelände. Und die Eigentümer wollen keine Demonstration.“
Auch in Deutschland gibt es diese Orte
Dass in Großbritannien immer mehr einst öffentliche Plätze privatisiert werden, wird mittlerweile sehr kontrovers diskutiert. Doch auch in Deutschland gibt es solche pseudo-öffentlichen Plätze. Aber was bedeutet das für uns? Unser Reporter Timo Nicolas hat sich mit dem Berliner Stadtforscher Aljoscha Hofmann am Potsdamer Platz verabredet. Dort laufen sie ein paar Schritte, und ohne, dass Timo es merkt, stehen sie plötzlich auf dem Privatgrund des Sony-Centers:
"Wir sind jetzt über die mehr oder weniger unsichtbare Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum gegangen."
Das Sony-Center ist ein teilweise überdachter Platz - dieser und auch viele Wege drum herum sind in Privatbesitz. Und hier gilt die Hausordnung der Eigentümer. Demonstrieren darf man hier beispielsweise nur, wenn der Eigentümer zustimmt.
Nach Deutschlandfunk-Nova-Reporter Timo Nicolas könnte die Hausordnung zur Ausgrenzung verschiedener Personen führen.
"Auf privaten Plätzen könnten also bestimmte Bevölkerungsgruppen leichter ausgegrenzt werden. Obdachlose, zu laute Teenager, Trinker, Skateboardfahrer, Straßenmusiker, Bettler."
Für vermeintliche Störer könnte es rund um den Potsdamer Platz eng werden, denn hier sind ziemlich viele Plätze privat, ohne dass es wirklich auffällt. Das gilt auch für andere Orte in der Stadt.
Öffentliches Leben wird zurückgedrängt
Wer den Inge-Beißheim-Platz durchqueren will, muss zwangsläufig über den privaten Platz in der Mitte. Sitzbänke, die zum Verweilen einladen – so wie wir es von öffentlichen Plätzen kennen – gibt es hier nicht. Die wurden in die Seitenstraßen verdrängt.
"Das, was man an dem öffentlichen Raum schätzt, auf dem Stadtplatz sehen und gesehen werden, am öffentlichen Leben teilnehmen, findet hier nicht statt."
Noch gibt es in Deutschland nicht allzu viele pseudo-öffentliche Plätze. Und im Alltag macht es für viele kaum einen Unterschied, sagt unser Reporter Timo. Nähmen solche Orte überhand, wie in London, könnten aber künftig merkbare Unterschiede entstehen. Denn dann könnten sogar demokratische Grundrechte eingeschränkt werden.
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