Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit sind etwa 100.000 Menschen auf die Straße gegangen – gegen die Bundesregierung, gegen steigende Preise, gegen die deutsche Russlandpolitik und gegen die Sanktionen. Die Proteste waren deutschlandweit, wobei der Schwerpunkt in Ostdeutschland lag. Die Zahlen der Demonstrierenden gehen inzwischen zurück. Der Protestforscher und Kultursoziologe Alexander Leistner sagt, es ist trotzdem wichtig, sie weiterhin zu beobachten.
Sowohl linke als auch rechte Gruppierungen hatten die Demonstrationen organisiert. Diese Proteste wurden mit Sorge gesehen, weil auch extreme demokratiefeindliche Gruppen vertreten waren. Mittlerweile kommen immer weniger Menschen zu den Demos. Das zeigt eine Analyse des Mitteldeutschen Rundfunks, der Zahlen der Innenministerien der Bundesländer ausgewertet hat.
"Heißer Herbst" – der harte Protestkern bleibt
Alexander Leistner, Kultursoziologe und Protestforscher an der Uni Leipzig, sagt, wir sollten die Proteste trotzdem weiter ernst nehmen. Er beobachtet, dass die Zahlen der Protestierenden zurückgehen, weil zum Beispiel die überregionale Mobilisierung derzeit nicht so gut funktioniere. Etwa so, wie es während der Coronapandemie stattgefunden hatte. "Was aber bleibt, sind diese harten Protestkerne in der Fläche, auch wenn die jetzt mit geringeren Zahlen weiter demonstrieren. Und das ist schon was, was man eben im Auge behalten sollte", sagt der Protestforscher.
Zum Beispiel sei zu sehen, dass Proteste gegen Geflüchteten-Unterkünfte eher zunehmen. Vor allem an Orten, wo man weiß, dass neue Unterkünfte eingerichtet werden sollen.
"Das gesellschaftliche Klima vor Ort verändert sich. Und das geht dann weit über die Straße hinaus."
So hatte der Präsident des Sächsischen Fußballverbandes – auch DFB-Vizepräsident und ehemaliger Staatsminister in der sächsischen Staatskanzlei – unlängst auf Instagram die Berichterstattung des NDR mit der der "Aktuellen Kamera" in der DDR verglichen. "Das sind sozusagen Figuren, die man auf den Protesten schon seit Längerem beobachten kann, die aber tief eingesickert sind in die Gesellschaft und eben auch in herausgehobenen Positionen", sagt Alexander Leistner.
Der Kultursoziologe findet, man sollte nicht nur auf die Zahlen der Protestierenden achten, "sondern sehr genau in die betroffenen Regionen schauen, wie sich das Klima dort verändert und wie man auch demokratische Zivilgesellschaft stärken kann.“
"Es ist ein sehr hartes Pflaster, vor allem in Ostdeutschland."
Es sei nicht die Mehrheit, die auf die Straße gehe, aber in manchen Städten seien es immerhin 10 Prozent, die am Ende dann auch eine Wirkung auf andere haben, so der Soziologe. Er sagt, es sei auch wichtig zu beachten, welche Proteste nicht stattfinden.
"Und sie haben eine Einschüchterungswirkung. Es gibt wenig Gegenproteste."
Als vor längerer Zeit überall in Deutschland die Fridays-for-Future-Demonstrationen begannen, hätte man diese in ostdeutschen Städten kaum gesehen. Dort sei "eine andere Dominanz auf der Straße" und es herrsche "eine andere Drohkulisse", sagt der Protestforscher.
Seiner Meinung nach brauche es vor Ort mehr konfliktbereite Akteure, gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Unterstützung. "Gerade für die Teile der Zivilgesellschaft, die sich häufig auch alleingelassen fühlen", sagt Alexander Leistner.