Wir haben Angst, das ist etwas ganz Natürliches. In manchen Situationen wie beim neuen Coronavirus gibt es aber zu viel von der Furcht, sagt Psychologin Ulrike Lüken – und dann kann die daraus folgende Überschätzung ziemlich schlecht für uns alle sein.
Wenn ihr stündlich Push-Nachrichten bekommt, die mitteilen, dass in Deutschland sich wieder ein Mensch mit dem neuen Coronavirus infiziert hat oder sich die Infektionsrate in China ver-x-facht hat, dann kann das bei euch Angst davor erzeugen, dass ihr euch auch infizieren könntet.
Berechtigte Furcht vor Ansteckung oder Überreaktion?
Dass wir Angst verspüren, ist grundsätzlich eine gute Sache, sagt Ulrike Lüken. Sie ist Professorin für Psychotherapie an der Humboldt Universität zu Berlin. Denn Angst ist ein wichtiges Grundgefühl, ohne das wir nicht überleben könnten – wir hätten dann nämlich keinen Mechanismus, um uns vor Gefahren zu schützen, so die Wissenschaftlerin: "Die Natur hat uns da mit einer sehr effektiven Alarmanlage ausgestattet."
Unser Gehirn bevorzugt es sogar, Gefahrenreize zu verarbeiten, weil es nach dem Prinzip "better safer than sorry" arbeitet – sprich "lieber einen Fehlalarm zu viel zu produzieren, als eine wichtige Gefahr zu übersehen", erklärt die Wissenschaftlerin.
"Angst zieht unsere Aufmerksamkeit wie ein Magnet an."
Je katastrophisierender, sprich existenzbedrohlicher die Sache erscheint, desto mehr zieht das Thema uns und unser Gehirn an, meint Ulrike Lüken. Dann würde der Angstreflex einsetzen, den wir auch zurecht haben, automatisch bei wichtigen Situationen greift - beispielsweise wenn wir auf der Straße stehen und ein Auto auf uns zurast.
Übertriebene und grundlose Angst kann zum Problem werden
Entsprechend höher ist aber auch die Gefahrenüberschätzung, denn Fehlalarme gibt es auch, warnt die Psychologin: "Angst wird immer dann zum Problem, wenn sie übertrieben stark und ohne Grund auftritt." Besonders dann wirke Angst auch ansteckend.
"Angst wird immer dann zum Problem, wenn sie übertrieben stark und ohne Grund auftritt."
Unsere Reaktion auf diese Angst ist meistens nicht ganz durchdacht, so die Forscherin: "Wir alle haben die Tendenz, wenn eine Situation unbekannt ist, und wir sie nicht richtig einschätzen können, Dinge zu tun, die uns ein Gefühl von Sicherheit vermitteln." Deswegen herrsche gerade auch eine größere Furcht vor dem neuen Coronavirus, als vor der Grippe-Erkrankung.
Beispielsweise ist das Kaufen von Atemschutzmasken ein Reflex auf Krankheitsausbrüchen. Auch wenn sie nachgewiesenermaßen nicht gegen die Ansteckung helfen. Denn Viren werden nicht nur durch Tröpfchen-Infektion übertragen, wogegen der Mundschutz hilft. Aus medizinischer Sicht ist er eher dazu da, um nicht selbst Bakterien und Keime zu übertragen.
Emotionale Beweisführung
Wenn wir aus diesem emotionalen Angst-Grund zu Hause bleiben oder nicht mehr so oft mit öffentliche Verkehrsmitteln fahren und dann gesund bleiben, erscheinen uns diese Entscheidungen als richtig. Dieses Phänomen heißt emotionale Beweisführung, erklärt Ulrike Lüken: Die Beweise sind nicht rational, sondern intuitiv. Weil wir nicht wissen können, was passiert wäre, wenn wir das Gegenteil gemacht hätten – also vielleicht auch gesund geblieben wären.
Gerade deswegen sei es wichtig, in Angstsituationen wie beim neuen Coronavirus einen Schritt zurückzutreten und die eigene Angst und den Reflex zu reflektieren, sagt die Psychologin. Dann fiele es auch einfacher, den eigenen Verstand einzusetzen und Empfehlungen aus sicherer Quelle zu folgen, wie etwa dem Robert-Koch-Institut.
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