Wir werden unterdrückt und sind das Personal der Deutschland GmbH - dieser Überzeugung musste Tobias Ginsburg neun Monate lang sein, um nicht aufzufallen. Undercover bewegte er sich in der Szene der sogenannten Reichsbürger.

Tobias Ginsburg gelang der Einstieg in die Welt der Reichsbürger über das sogenannte Königreich - ein ehemaliges Klinikgelände in Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt, wo etwa 30 Reichsbürger in einer Art Kommune lebten. Von dort aus lernte er Kontakt für Kontakt die Szene kennen. Dafür schaffte er sich eine neue Identität an: Tobias Patera, Verschwörungstheoretiker und Journalist, der irgendwann 'aufgewacht' ist. Mit eigener Webseite und Facebook-Profil.

Die Grundidee der Reichsbürger:

  • Deutschland werde von einem Netzwerk gesteuert und kontrolliert und sei militärisch besetzt.
  • Es gebe keine gültige Verfassung, sodass das Deutsche Reich weiterhin fortbestehe, entsprechend der jeweiligen Ideologie entweder in den Grenzen des Deutschen Kaiserreichs oder in jenen von 1937.

Reichsbürger machen den Behörden viel Arbeit

Reichsbürger lehnen jegliche staatlichen Instanzen ab, akzeptieren weder Ordnungsamt, Finanzamt oder Steuerbescheide noch polizeiliche Maßnahmen, Gerichtsbeschlüsse oder Gerichtsvollzieher. Im Zweifelsfall müssen sie dafür Strafen zahlen oder kommen ins Gefängnis. Das alles ist aufwändig, nimmt Ressourcen von Verwaltung und Gerichten in Anspruch und führt im Extremfall sogar zu tödlicher Gewalt.

Auch wenn viele der Reichsbürger, die Tobias kennengelernt hat, das verleugnen oder sich selbst mitunter nicht so sehen: Es findet sich viel Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in der Reichsbürger-Szene. Im Kern handele es sich um eine rechtsradikale Verschwörungstheorie, meint Tobias, die sich schon in viele gesellschaftliche Gruppen verbreitet habe.

"Im Kern haben wir es mit einer rechtsradikalen Verschwörungstheorie zu tun, die es schon in ziemlich viele Milieus geschafft hat."
Tobias Ginsburg, Autor des Buches "Die Reise ins Reich"

Der Autor und Regisseur Tobias Ginsburg, selbst übrigens jüdisch, wollte mehr über die Menschen erfahren, die sich selbst Reichsbürger nennen oder zumindest wie solche handeln. Er sagt: "Manche von denen fand ich sogar richtig sympathisch."

Das lag aber weniger an ihrer Einstellung zum deutschen Staat, sondern an ihrem Charakter an sich. Denn neben den ideologisierten, teilweise gefährlichen Reichsbürgern gebe es auch andere: "Da gibt es welche, die da aus purer Naivität reingestolpert sind, die eigentlich in ein Öko-Dorf wollten."

Auf der anderen Seite des Spektrums seien da aber genauso die Hochesoteriker, die mit schweren antisemitischen Wahnvorstellungen leben und diese auch verbreiten, die Hardcore-Nazis mit Stiefeln und Motorrädern oder die reiche Immobilienmaklerin - "der Nazi-Adel". In seinem Buch beschreibt er, wie sich in der Szene etwa Esoterik, Verschwörungsglauben, Öko-Gedankengut, Antisemitismus, linke Ideologien und rechte Ideen zu einer gefährlichen Mixtur vermischen.

Sehr unterschiedlich und doch vereint

Tobias wichtigste Erkenntnis nach neun Monaten bei den Reichsbürgern: Die Gruppe ist sehr heterogen und vereint naive und harmlose Menschen mit planvollen und gefährlichen. Am Ende seien sie aber vereint durch die feste Überzeugung: Die da oben unterdrücken uns.

(Dieser Text ist ein kleiner Auszug von dem, was Tobias zu erzählen hat. Das 35-minütige Gespräch könnt ihr nachhören: oben auf den Hören-Button klicken.)

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Shownotes
Tobias Ginsburg
Neun Monate unter Reichsbürgern
vom 06. Mai 2018
Moderator: 
Sebastian Sonntag
Gesprächspartner: 
Tobias Ginsburg, Autor und Regisseur