Auf ihrem Klingelschild steht #PolitWG: Seit drei junge Schweizer Parlamentarier – von den Schweizer Grünen, der rechtskonservativen SVP und der liberalen FDP – eine Zweck-WG in Bern gegründet haben, bekommen sie viel Besuch von Journalisten. Die WG mit politischen Gegnern ist nicht nur praktisch, sondern irgendwie auch ein PR-Coup.
Sie wohnen in der Schweizer Bundesstadt Bern, drei Stationen mit der Straßenbahn vom Bundeshaus, dem Schweizer Sitz von Regierung und Parlament, entfernt. In einem hübschen Viertel, das wohl auch nicht ganz günstig ist. Eine Frau und zwei Männer haben hier eine WG gegründet – an sich nichts Überraschendes–, wenn sie nicht alle drei Parlamentarier wären und gegnerischen politischen Lagern angehören würden.
WG-Gründung aus rein praktischen Gründen
Franziska Ryser, 29 Jahre alt, arbeitet als Politikerin für die Schweizer Grünen. Mike Egger, 27 Jahre alt, ist Mitglied der rechtskonservativen Schweizerische Volkspartei SVP und Andri Silberschmidt, mit 26 Jahren das jüngste WG-Mitglied und auch der Jüngste im Parlament, ist Abgeordneter der liberalen Freisinnig-Demokratische Partei FDP.
Die Idee für die Wohngemeinschaft hatte Andri Silberschmidt – aus rein praktischen Gründen, wie der Zürcher sagt.
"Ich brauchte eine Wohnung in Bern nach meiner Wahl. Mein ehemaliger Arbeitgeber hat gesagt, wieso machst du nicht eine WG mit anderen Parlamentariern. Es ist relativ schwierig, man hat sechs Wochen Zeit von der Wahl bis zu Session. Ich bin froh, dass ich zwei gefunden haben, die offen waren für das Experiment."
Eigentlich der perfekte PR-Coup
Seit die drei Parlamentarier zusammen wohnen, bekommen sie viele Anfragen von Journalisten, die sie in ihrer WG besuchen und Interviews mit ihnen führen wollen. Es ist praktisch, nahe zum Bundeshaus zu wohnen, die Mietkosten können durch drei geteilt werden und eine eigene PR-Strategie müssen die drei Parlamentarier nun anscheinend auch nicht mehr entwickeln, weil das Interesse der Presse an diesem Wohnexperiment bisher recht groß ist.
#polit-WG: Wohngemeinschaft bringt bisher nur Vorteile
In der Schweiz dauert die Session, der Zeitraum, in dem die Tagungen der beiden schweizerischen Parlamentskammern Nationalrat und Ständerat stattfinden, drei Wochen am Stück. Die St. Gallenerin Franziska Ryser wohnt zwei Stunden von Bern entfernt, es wäre zu schwierig für sie gewesen, jeden Morgen nach Bern zu fahren, um rechtzeitig zu den Tagungen da zu sein. Sie hatte sich schon darauf eingestellt, in der Zeit ein Hotelzimmer zu buchen oder sich eine Wohnung zu suchen. Als Andri Silberschmidt ihr den Vorschlag machte, gemeinsam in eine WG zu ziehen, war sie sofort von der Idee überzeugt.
"Als Andri zu mir kam und die Idee vorgeschlagen hat, dachte ich, das ist eigentlich perfekt. Dann kann man die Kleider und die Unterlagen an einem Ort lassen und hat noch einen Austausch nebenbei mit anderen, die quasi im gleichen Job tätig sind."
Während der Sessionen, gibt es drei Wochen lang am Stück Sitzungen – und das jeweils viermal im Jahr. Lange Tage mit vollem Terminkalender für alle Abgeordneten. Abends zuhause am Esstisch tauschen sich die drei WG-Mitglieder über ihren Tag aus und diskutieren auch politische Themen. Mike Egger von der rechtskonservativen SVP ist zum Beispiel bei der Debatte um Zuwanderungsbegrenzung ganz anderer Meinung als seine Zimmernachbarin Franziska Ryser von den Grünen.
Wenn es darum geht, transparent darzulegen, wie der Wahlkampf finanziert wird, sind sich die WG-Bewohner einig: Sie finden, Spenden über 10.000 Franken sollten offen gelegt werden.
Mehr Zeit, um Missverständnisse aus dem Weg zu schaffen
Abends in gemütlicher Runde, ist dann auch oft mehr Zeit, nachzufragen, wenn man die Position des anderen nicht versteht oder auch die Perspektive eines politischen Gegners anzuhören, bevor ein Thema voreilig in die politische Debatte im Parlament eingebracht wird.
Haushalt über WG-Chat regeln
Auch in dieser WG gibt es, wie in jeder anderen, auch den Haushalt und Organisatorisches zu klären: Den Einkauf regeln die Bewohner über den WG-Chat. Beim Putzen setzen sie mehr auf Selbstverantwortung. Bisher klappt das gut – und wenn es nur Diskussionen über ein dreckiges Badezimmer gibt, dann haben die drei Politiker eine Gelegenheit, um ihre rhetorischen Fähigkeiten zu üben.
"Es ist wichtig, dass man nicht überall die gleiche Meinung hat – wir sind von unterschiedlichen Parteien, da kann man nicht überall die gleiche Meinung haben. Bei uns ist es sehr offen, wir haben noch nie wirklich gestritten – wir wissen, wir machen Politik."