Wenn wir uns eine gerechte Welt wünschen, in der alle gleich die gleichen Chancen und ungefähr gleich viele Ressourcen haben – dann müssen wir umverteilen. Und die, die viel haben, müssen ein größeres Stück von ihrem Kuchen abgeben – so die gängige Logik. Oft stimmt das gar nicht. Und dennoch: Wenn wir zu denen gehören, die mehr haben als andere, dann haben wir Angst davor, etwas abgeben zu müssen. Forschende aus den USA sagen: Diese Denkweise verhindert, dass die Welt gerechter wird.
Die Forschenden liefern keine Erklärungen für die Ursprünge dieser Angst, sondern sie haben lediglich untersucht, wie sehr diese Vorstellung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in unserem Denken verankert ist. Das Ergebnis: Diese Denkweise sitzt sehr tief und fest.
Bei Versuchen wurde Teilnehmenden (in den USA) gesagt, dass sie einer Gruppe angehören, die mehr von etwas haben als eine andere Gruppe. Dann gab es zwei Optionen. Erstens: 'Die andere Gruppe bekommt einen ordentlichen Batzen mehr, damit es gerechter wird, und deine Gruppe bekommt ein ganz kleines bisschen mehr.' Oder zweitens: 'Die andere Gruppe bekommt im Vergleich deutlich weniger, und deine Gruppe bekommt ein bisschen weniger.' Anschließend mussten die Teilnehmenden bewerten, ob sie glauben, dass sie nun immer noch in einer guten Situation sind.
"Absurderweise bewerteten die Testpersonen die zweite Option als besser für sich selbst – obwohl sie dabei selbst weniger bekommen."
Die Versuchsteilnehmer*innen wählten mehrheitlich die zweite Option, bei der sie etwas abgeben müssen. Sie hatten aber trotzdem eher den Eindruck, dass sie insgesamt mehr haben, wenn der Unterschied zwischen ihnen und der anderen Gruppe größer bleibt – auch wenn das gar nicht stimmte.
Wir wollen mehr haben als andere
Die Studie bestand insgesamt aus neun kleineren Tests, in denen jeweils unterschiedliche Fragen zu Gerechtigkeit und dem Gerechtigkeitsempfinden gestellt wurden – und das Ergebnis war immer sehr ähnlich: Im Vergleich mit anderen wollen wir mehr haben.
"Wo wir aber Gerechtigkeit unterstützen, ist: innerhalb unserer eigenen Gruppe."
Allerdings unterstützen Menschen die Gerechtigkeit innerhalb einer Gruppe: Weiße Männer - abstrahiert Ann-Kathrin Horn - sagen zum Beispiel: 'Es ist okay, wenn etwas dahingehend verändert wird, sodass es mehr Gerechtigkeit gibt innerhalb der Gruppe der weißen Männer.' Sobald es um andere Gruppen ging, ging es wieder zurück zu der Logik: 'Lieber habe ich selbst keine Vorteile. Hauptsache, die anderen bekommen nicht deutlich mehr vom Kuchen.
Für die Forschenden sind diese Ergebnisse unlogisch. Sie sagen: Die meisten Leute behaupten zwar, dass sie mehr Gerechtigkeit wollen. Aber wenn es dann darum geht, mehr Gerechtigkeit durch eine Wahlentscheidung zu unterstützen, dann wollen sie am Ende doch lieber ihre Privilegien und ihre Gruppe schützen.
Was gegen die Ungleichheit helfen könnte
Die Forschenden haben ein paar Vorschläge, die – angesichts ihrer Ergebnisse – gegen Ungleichheit helfen könnten. "Sie sagen, es hilft, wenn sich eine Gesellschaft stärker als eine Gruppe sieht. Also wenn Politikerinnen und Politiker zum Beispiel immer wieder betonen: 'Wir alle sind eine Gemeinschaft, eine Gruppe'. Und wenn sie bei jeder kleinen Entscheidung immer dazu sagen: 'Leute, euch wird hier gerade absolut nix weggenommen'", erklärt Ann-Kathrin Horn.