Steve Hardt möchte Arzt werden. Das ist sein großer Traum. Abitur hat er aber nicht. Steve ist einer der wenigen Studierenden in Deutschland ohne Abi. Wie viel Willenskraft dafür jeden Tag notwendig ist, weiß Steve. Sein Studium zieht er aber durch.
Einen letzten Versuch hat Steve noch, damit er die Klausur in Biochemie besteht. Zwei Mal davor ist er durchgefallen. Die Prüfung braucht der 29-Jährige für sein Medizinstudium. Naturwissenschaftliche Fächer wie Biochemie fallen Steve schwer. Ihm fehlt teilweise das Grundwissen aus der Oberstufe. Denn: Steve studiert ohne Abi.
"Damals wurden wir in der Schule gefragt: Was wollt ihr werden? Ich hab gesagt, ich will Arzt werden und dann wurde ich ausgelacht – auch von der Lehrkraft."
Studieren ohne Abi – aber mit Willenskraft
Steve ist damit einer von etwas mehr als 1000 Medizin-Studierenden in Deutschland ohne Abi. Das ist rund ein Prozent aller Studis der Medizin. Steve konnte sich auf den Studienplatz bewerben, weil er nach der Hauptschule eine Ausbildung gemacht hat – erst zum Medizinischen Fachangestellten (MFA) und dann zum Krankenpfleger. Seine Berufserfahrung war auch entscheidend dafür, dass er den Studienplatz an der Uni Mainz bekommen hat.
Ausbildung als Grundvoraussetzung
Welche Zugangsvoraussetzungen für Studis ohne Abi gelten, hängt vom Bundesland ab, in dem man studiert. Das jeweilige Hochschulgesetz schreibt vor, wer dort ohne Abi studieren kann. Grundsätzlich ist eine Ausbildung, die mindestens zwei Jahre dauert, die erste Voraussetzung.
Danach gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Studienplatz zu bekommen, abhängig davon, was man nach der Ausbildung gemacht hat und welches Fach man studieren möchte. Steve zum Beispiel konnte seine Berufserfahrung im medizinischen Bereich für sein Medizin-Studium nutzen.
Allgemein macht der Anteil der Studierenden ohne Abi gerade mal 2,4 Prozent an allen Studis aus, die an einer deutschen Hochschule eingeschrieben sind. Oft braucht es dafür viel Durchhaltevermögen und Willenskraft. Das merkt auch Steve. Er ist jetzt im fünften Semester und bezeichnet die Zeit an der Uni als "einzigen Kampf".
"Ich denke, ich wollte allen – und vor allem mir – zeigen, dass ich das doch kann. Auf gut Deutsch gesagt, wollte ich auch der Person von früher den Mittelfinger zeigen, die dachte, ich schaffe das nicht."
Er arbeitet zwölf Stunden täglich, um sich seinen Traum vom Arztberuf zu erfüllen. Steve hat neben seinem Studium noch einen Job als Krankenpfleger an der Uniklinik Mainz. Nach seiner Krankenhausschicht lernt er für sein Medizinstudium. Für ihn bedeutet das oft doppelt so viel Aufwand wie für Studierende mit Abi: "Ich hatte Hauptschul-Mathe, -Chemie und -Physik. Das, was wir hier machen, knüpft im Prinzip ans Abi an. Den Schulstoff musste ich nachholen", sagt er.
Stigma Hauptschüler
Dadurch nimmt Steve auch eine neue Art von Druck wahr. Sein Einstieg in das Unisystem war nicht einfach, weil er in seiner Schulzeit nicht auf ein Studium vorbereitet wurde. Von seinen Lehrer*innen wurde er weder darin bekräftigt, noch darin unterstützt, später an die Uni zu gehen. Er wurde in der Schule sogar ausgelacht, als er gesagt hat, dass er Arzt werden möchte. "In meinen Augen ist es so, dass viele in Schubladen gesteckt werden. Als Hauptschüler kommst du in diese Schublade und die Förderung bleibt dann auch aus", erklärt er.
Diese Verletzung aus der Schulzeit trägt Steve heute noch mit sich. Was aber anders ist: Er hat einen Ehrgeiz entwickelt und steht für sich ein. Er möchte sich seinen Traum erfüllen und arbeitet jeden Tag daran.
Wenn ihr noch mehr über Steve und seine Geschichte erfahren möchtet, findet ihr hier eine Reportage über ihn. Das Funk-Format "reporter" hat ihn begleitet.