Sich Dinge von der Seele schreiben, die Gedanken sortieren, eine tägliche Schreibübung oder ein Achtsamkeitsritual – Tagebuchschreiben oder Journaling kann sehr unterschiedliche Zwecke erfüllen. Es bietet mehr Klarheit, eine Erinnerungsstütze und in manchen Fällen wird es zum wichtigen Zeitdokument.
Während manche von uns es lieben, mit Papier, Klebestift und bunten Leuchtstiften kreativ zu werden und gleichzeitig mit To-do-Listen ihre Aufgaben im Auge zu behalten, geht es anderen in erster Linie darum, beim Tagebuchschreiben die eigenen Gedanken aufs Papier zu bringen. Das hilft vielen von uns, sie zu sortieren und mehr Klarheit zu bekommen. Mitunter gelingt es dadurch, Dinge, die vorgefallen sind, bewusster zu verarbeiten und zu sehen, was bestimmte Erfahrungen in uns bewegen.
"Ich habe vor vier Jahren begonnen, Tagebuch zu schreiben. Ich habe erst mal einfach Gedanken heruntergeschrieben und versucht, mich selber in diesen Texten auch zu ordnen."
Tagebuch schreiben – aktiv den Fokus auf Positives richten
Peter nutzt sogar drei Tagebücher, in denen er auf unterschiedliche Arten Gedanken festhält, erzählt er unserer Reporterin Yesim Ali Oglou. Er schreibt auch Songs und nutzt das Journaling als Inspirationsquelle für Liedtexte. Er hält seine Gedanken gerne als Metaphern fest und schreibt Kurzgeschichten, Gedichte und auch persönliche Erlebnisse auf.
"Viele Sachen müssen einfach raus. Gedanken, Bilder, Erinnerungen, die müssen einfach irgendwie aus dem Kopf raus. Das tut mir meistens ganz gut."
Täglich erleben wir Tausende von Eindrücken. So viel, dass unser Gehirn vieles ausfiltern muss. Wir sollten also selbst aktiv dafür sorgen, das Positive in den Vordergrund zu rücken, sagt Coach und Psychologin Anne Klien. Das kann beim Journaling mit vorgegebenen Fragen gelingen, erklärt sie.
Die sogenannten "Morning Pages" sind zum Beispiel solch eine Methode. Das sind festgelegte Fragen, deren Antworten wir täglich am Morgen niederschreiben können. Dadurch können wir eigene Wünsche, Bedürfnisse und Ziele im Auge behalten.
"Wenn man mit vorgegebenen Fragen journalt, ist das deswegen so hilfreich, weil wir den Fokus auf etwas Bestimmtes richten."
Luisa nutzt ihr Tagebuch auf zwei Arten: In ihrem Notizbuch hat sie auf der einen Seite Platz fürs freie Schreiben. Und auf der anderen Seite stehen selbst formulierte Fragen, die sie dann beantwortet. Sie nutzt diese Fragen, um festzuhalten, welche Ereignisse sie auf keinen Fall vergessen will, erklärt sie unserer Reporterin Yeşim Ali Oglou. Und auch um sich selbst bewusst zu machen, wofür sie an einem bestimmten Tag besonders dankbar war.
Therapeutisches Schreiben, um Gedanken aus dem Kopf zu bekommen
Sabine Lahme empfiehlt als Coach und Psychologin einigen ihrer Klienten das therapeutische Tagebuchschreiben. Allerdings ist ihr Rat, die Seiten im Anschluss zuzukleben. Wenn man die Gedanken einmal aus dem Kopf hat, sollte man sich diese nicht erneut durchlesen, sagt die Psychologin. Das führt nur dazu, dass sie wir uns unsere Herausforderungen nochmals vergegenwärtigen und eine erneute Verarbeitung im Gehirn anstoßen.
"Im therapeutischen Schreiben wird das Schreiben genutzt, um sich tatsächlich Dinge aus dem Kopf zu schreiben, um sich nicht mehr damit zu beschäftigen."
Für die persönliche Entwicklung hält Sabine Lahme es nicht für förderlich, sich selbst immer wieder mit den eigenen Gedanken und Sorgen zu konfrontieren. Sie sagt, das Schreiben dient auch dazu, bestimmte Dinge aus dem Kopf zu bekommen, das heißt, diese Gedanken auch loszulassen.
Tagebuch als Zeitzeugnis
Meist geht es uns um Selbstreflexion, wenn wir anfangen, Tagebuch zu schreiben. Für spätere Generationen kann aus solchen Texten aber auch ein historisches Zeitzeugnis werden. Anne Franks Aufzeichnungen über die Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg ist so ein Beispiel.
Mit 13 Jahren hatte das jüdische Mädchen zum Geburtstag ein Tagebuch geschenkt bekommen. Darin hat sie ein detailliertes Bild ihrer Zeit gezeichnet. Vor ihrer Deportation und Ermordung hatte sie die Grauen der Naziherrschaft und die Verfolgung der Juden während des Zweiten Weltkrieges in ihrem Tagebuch festgehalten.
Die deutsche Jüdin lebte nach ihrer Flucht aus Deutschland von Juli 1942 bis August 1944 in einem Versteck in Amsterdam, bis ihr Aufenthaltsort kurz vor Kriegsende den Behörden gemeldet wurde. Ihre Aufzeichnungen wurden erst nach ihrem Tode veröffentlicht. Anne Franks Tagebuch erlangte als historisches Zeitdokument weltweite Bekanntheit. Am 12.06.2025 wäre Anne Frank 96 Jahre alt geworden.
In Gedenken an die verfolgte und ermordete Anne Frank wurde der 12.06. – vermutlich in den 1980er Jahren, – zum Tag des Tagebuches ernannt.
