Auch 30 Jahre nach der Wende gelten die Menschen im Osten noch als abgehängt. Adriana Lettrari weigert sich, diese einseitige Sichtweise auf Ostdeutschland hinzunehmen und plädiert dafür, endlich die unerkannten Möglichkeiten zu sehen.
Als die "neuen Bundesländer" – auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit – werden die Bundesländer im Osten Deutschlands immer noch oft bezeichnet. Den Menschen, die von dort stammen und dort leben, wird eine skeptischere, distanziertere und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik und Demokratie zugeschrieben. Das geht auch aus dem aktuellen Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2020 hervor.
Zwischen Skepsis und Engagement
Adriana Lettrari beschreibt die Menschen in Ostdeutschland ein bisschen anders. Sie selbst ist in Neustrelitz geboren, in Rostock aufgewachsen und sie hat das Netzwerk "3te Generation Ost" gegründet. Inzwischen arbeitet sie wieder in Mecklenburg-Vorpommern. In ihrer Funktion als Leiterin dieser Ehrenamtsstiftung sehe sie das deutlich: Jeden Tag landeten auf ihrem Schreibtisch Anträge von Menschen, die Projekte erarbeitet haben, um auf konstruktive Weise etwas in der Region zu verändern.
Veränderung gehöre für Menschen im Osten zur Realität
Es gibt neben dem, was wir in dem Einheitsbericht gehört haben, unglaublich viel positive Bewegung in Ostdeutschland. Viele Menschen sagen: Wir wollen beitragen, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und damit auch demokratischer Selbstausdruck stattfinden.
"Es gibt unglaublich viel positive Bewegung in Ostdeutschland. Viele Menschen sagen: Wir wollen beitragen, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und damit auch demokratischer Selbstausdruck stattfinden."
Ein weitgehend unerkanntes Potenzial bei den Menschen in Ostdeutschland sieht Adriana Lettrari in der sogenannten Transformationskompetenz, also der Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung. Die Wende habe die Menschen in Ostdeutschland genau das gelehrt.
Wenn eine Diktatur mehrere Generationen prägt
Nichtsdestotrotz spricht sie die im Bericht zur Einheit herausgestellte Skepsis der Menschen gegenüber der Demokratie und Politik nicht ab, genauso wenig wie der Bereitschaft vor allem unter Männern, die AfD zu wählen.
Die Begründung des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, Ostdeutsche seien in einer Diktatur sozialisiert, was erkläre, dass sie auch nach 30 Jahren in einer Demokratie nicht so viel mit ihr anfangen könnten, greift Adriana Lettrari zu kurz. Immerhin betreffe das auch die junge Generation, die die DDR gar nicht erlebt habe.
Komplexe Antworten auf schwierige Fragen
Die 42-Jährige meint, man müsse verstehen, dass diese Menschen von den Generationen vorher geprägt wurden: "Wenn meine Eltern und Großeltern sich eher kritisch gegenüber demokratischen Systemen äußern, dann ist das eine Einstellung, in der ich aufwachse." Und wie mit anderen Themen im Leben auch, sei es nicht so einfach, sich von solchen Sichtweisen zu emanzipieren.
"Ich weiß, in welcher Umgebung ich vor 1989 aufgewachsen bin. Das Mecklenburg-Vorpommern von jetzt ist kein Vergleich zu dem Land, in das ich jetzt zurückgekehrt bin."
Und trotzdem, Adriana Lettrari will sich auf die Chancen konzentrieren. Allein räumlich gebe es hier noch ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten als in großen Städten wie Berlin. Deswegen bezeichnet sie sich als Fan von Ostdeutschland – und hofft künftig noch mehr Menschen für die doch nicht mehr ganz so neue Ecke der Bundesrepublik zu begeistern.
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