In Deutschland gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum – und viele Mieten gehen immer weiter nach oben. Das ist ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen obdachlos werden. Der Verein Off Road Kids schlägt Alarm und sagt, dass vor allem die Zahl junger Obdachloser deutlich steigt.
In Deutschland fehlen etwa 700.000 Wohnungen, vor allem in den Städten und vor allem günstiger Wohnraum. Gleichzeitig steigen an sehr vielen Orten die Mieten immer weiter an. Wem viel Geld zur Verfügung steht, der hat als junger Mensch kein Problem, solche Mieten zu zahlen. Azubis, Studierende oder Jobanfänger mit wenig Einkommen können sich Wohnraum in Deutschland aber immer seltener leisten. Im schlimmsten Fall rutschen sie in die Obdachlosigkeit.
Hilfsanfragen vervierfacht
Und das passiert laut dem Verein Off Road Kids, der sich um obdachlose Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene kümmert, immer häufiger. Die Anfragen hätten sich vervierfacht, heißt es dort. Dem Wohnungsbericht der Bundesregierung zufolge sind in Deutschland aktuell 38.000 junge Menschen von Obdachlosigkeit bedroht.
Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Luise Sammann hat mit Betroffenen über ihre ganz persönliche Geschichte gesprochen. Dazu gehört auch Valeria, die mit 20 Jahren obdachlos geworden ist. Ihre alleinerziehende Mutter hat sie rausgeschmissen.
"An sich verstehen wir uns, aber wir können einfach nicht zusammen. Wir lieben uns, aber unser Charakter ist so, dass wir uns ständig in die Haare kriegen. Wir haben uns auch mehrfach geprügelt und so. Das war echt nicht schön."
Valeria saß also plötzlich auf der Straße – und hatte kein Geld. Zunächst ist sie bei Freunden untergekommen, doch die haben ihr dann irgendwann zu verstehen gegeben, dass sie nicht auf Dauer bleiben kann. Eines Abends hat Valeria dann "Hilfe bei Obdachlosigkeit" in ihr Handy eingetippt. So ist sie zum Verein Off Road Kids gekommen.
Streetworkstationen in fünf deutschen Städten
Der Verein bietet in Hamburg, Dortmund, Frankfurt, Köln und Berlin Streetworkstationen an. Dort kann man einfach hingehen. Interessierte Personen können sich aber auch online beraten lassen – und zum Beispiel direkt mit Sozialarbeiter*innen chatten, die einem versuchen zu helfen. So war das auch bei Valeria. Off Road Kids hat dafür gesorgt, dass sie erstmal in einem Frauenhaus untergekommen ist.
"Das ist natürlich nicht schön – so mit Mehrbettzimmer und Gemeinschaftsdusche. Aber immerhin musste sie so erstmal nicht mehr den ganzen Tag nur darum kreisen, wo sie die nächste Nacht verbringt. Das ist total wichtig für die Menschen, um überhaupt erstmal wieder nach links und rechts gucken zu können."
Eigenen Angaben zufolge hat Off Road Kids in den letzten 20 Jahren 10.000 junge Menschen wie Valeria aus der Obdachlosigkeit gerettet.
Der Verein macht sich allerdings große Sorgen, weil die Zahlen im Moment so stark steigen wie noch nie: Jeden Monat kommen demnach 500 Jugendliche und junge Leute dazu, die bei Off Road Kids Beratung suchen. Im Jahr sind es etwa 6.000 Anfragen.
Wohnungsknappheit, Corona, Inflation, Ukraine-Krieg
Die Gründe dafür sind vielfältig, sagt die Streetworkerin Ines Fornacon. Einer davon sei die Corona-Pandemie und deren Folgen.
"Seit 2020 geht’s hier nur noch bergauf, leider. Ich denke, das hat auch viel mit den psychischen Belastungen innerhalb der Familien zu tun, dass die Toleranzen nicht mehr so hoch sind, dass viele Partnerschaften immer wieder kaputt gehen und die Leute einfach dann auf der Straße sitzen."
Neben Corona gilt aber eben auch die Wohnungsknappheit als Problem. Dazu kommen die Inflation und der Ukraine-Krieg.
Zeit zum Luft holen
Valeria konnte dank der Hilfe des Vereins Off Road Kids ihr Leben erstmal von Grund auf ordnen. Sie konnte sich zum Beispiel um eine Krankenversicherung kümmern und Geld vom Jobcenter beantragen. Inzwischen hat sie auch eine kleine Wohnung gefunden und beginnt jetzt sogar eine Weiterbildung zur Sicherheitsfachfrau bei der IHK.
"Ich bin unfassbar glücklich, dass ich jetzt meinen eigenen Freiraum habe und sagen kann: Jetzt kann ich zu mir nach Hause. Nicht irgendwohin, sondern zu mir nach Hause."
Zu verdanken hat Valeria das den Off Road Kids. Doch der spendenfinanzierte Verein kommt aktuell kaum noch hinterher, allen Betroffenen zu helfen.