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Drei Richter für's Bundesverfassungsgericht sollten gewählt werden. Stattdessen: Koalitionschaos, Abstimmung vertagt. Die CDU blockiert die SPD-Kandidatin – vor allem wegen ihrer Haltung zur Abtreibung. Wie unabhängig ist das höchste deutsche Gericht?

Eigentlich sollte der Bundestag am 11. Juli drei Verfassungsrichter*innen wählen – je mit Zweidrittelmehrheit., also mit den Stimmen der schwarz-roten Koalition und weiteren. Dann wurde unmittelbar vor der Abstimmung klar: Die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wird nicht ausreichend Stimmen von Unionsabgeordneten erhalten. Nun soll die Wahl erst nach der Sommerpause stattfinden.

"Dieser Bundestag ist heute nicht in der Lage gewesen, eine ganz wesentliche Aufgabe, die die Verfassung ihm zuschreibt, zu erfüllen."
Stephan Detjen, Leiter der Deutschlandfunk-Hauptstadtstudios

Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte Wochen zuvor den Personalvorschlägen noch im Namen seiner Fraktion zugestimmt – also auch der Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf. Für das Scheitern der Abstimmung steht er nun in der Kritik.

Die Verschiebung der Wahl beschreibt Stephan Detjen als das Ende einer Kampagne gegen die Juristin. Er leitet das Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks in Berlin. "Es gibt möglicherweise in der Union Leute, die ganz bewusst dieses Ding zum Scheitern gebracht haben", sagt er.

Union hatte Brosius-Gersdorf zunächst zugestimmt

Damit würden einige Unionsabgeordneten vielleicht auch die Haltung demonstrieren: "Es gibt bestimmte Punkte, da sind wir uns mit der AfD einiger als mit der SPD." Dabei vertrete Frauke Brosius-Gersdorf einen Grundrechte-Liberalismus, der keineswegs unbedingt als "links" zu labeln sei.

Schlussendlich begründeten Teile der Union ihre Ablehnung von Frauke Brosius-Gersdorf mit einem Plagiatsverdacht – mit einem Vorwurf, der sich allerdings rasch als unhaltbar erwiesen hat. Er muss als Teil einer gegen die Juristin persönlich gerichteten Kampagne begriffen werden, sagt Stephan Detjen.

"Das ist der Schlusspunkt einer Kampagne, die darauf ausgerichtet war, das Ansehen dieser Juristin zu beschädigen, sie als eine linke und linksradikale Aktivistin darzustellen, was sie einfach nicht ist."
Stephan Detjen, Leiter der Deutschlandfunk-Hauptstadtstudios

Die SPD-Fraktion berief eine Sondersitzung ein und verständigte sich mit der Union auf die Verschiebung der Wahl. Die Abgeordneten von Union, SPD, Grünen und Linken stimmten dem zu. Zunächst hatte die Union darauf gedrungen, nur die Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf abzusetzen.

Streit um SPD-Kandidatin

Erst in den Tagen vor der Abstimmung entzündete sich der Streit um die SPD-Kandidatin. Auch an ihrer juristischen Position zum Recht auf Abtreibung: Brosius-Gersdorf findet es unter anderem juristisch begründbar, dass die Garantie der Menschenwürde erst von Geburt an gelte.

"Es ist ganz bewusst vorgesehen von unserer Verfassung, dass sich dieses höchste Gericht nicht aus der Justiz selbst rekrutiert, sondern an das Parlament rückgebunden ist."
Friedrich Zillessen, Verfassungsblog

Um die Verschiebung der Wahl der drei Verfassungsrichter*innen bewerten zu können, sei es wichtig, die politische Ebene, also die Unionsfraktion, und die institutionelle Ebene, also das Bundesverfassungsgericht selbst, auseinanderzuhalten, sagt Friedrich Zillessen vom Verfassungsblog. Er ist dort Senior Editor leitet das Justiz-Projekt.

Er glaubt, dass die Gefahr besteht, dass mit der Debatte ein Präzedenzfall für eine zunehmende Politisierung des höchsten deutschen Gerichts geschaffen wird. Persönlich hätten nun neben Frauke Brosius-Gersdorf auch die beiden weiteren Kandidaten, Günter Spinner und Ann-Katrin Kaufhold, gelitten.

Ein potentielles Legitimitätsproblem

Die Debatte um die Wahl der drei Kandidat*innen berge durchaus die Gefahr, das Gericht zu delegitimieren. Es könne öffentlich der Eindruck einer Reformbedürftigkeit entstehen.

"Wir kennen das aus vielen anderen Ländern, dass die Justiz eines der ersten Ziele von autoritären Populisten ist, die versuchen, ihre Macht auszubauen und zu erhalten."
Friedrich Zillessen, Verfassungsblog

Zillessen weist darauf hin, dass die Entscheidungen des Gerichts üblicherweise einstimmig erzielt werden. Deswegen hält er die politischen Positionen einzelner Richter*innen am Bundesverfassungsgericht für nicht so entscheidend. Wichtiger sei es, Richter*innen zu berufen, die eine konstruktive Rolle in dieser Beratungskultur spielen.

Stephan Detjen sieht nun auf dem Weg zur Besetzung der drei Richterstellen folgende Optionen:

  • eine erneute Beratung der Fraktionen / Sondersitzungen der Fraktionen
  • Rückzug der Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf und neue Wahlvorschläge
  • eine Sondersitzung des Bundestags

Wahlrecht an den Bundesrat abtreten?

Auf eine weitere Möglichkeit weist Stephan Detjen auch noch hin. Sie ergibt sich aus einer kürzlich vollzogenen Grundgesetzänderung: Der Bundestag kann das Wahlrecht an den Bundesrat abtreten. Dort ist die AfD nicht vertreten. Damit würde sich der Bundestag allerdings seine eigene Dysfunktionalität attestieren.

"Das wäre das Eingeständnis, dass dieser deutsche Bundestag nicht in der Lage ist, für die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts durch ordentliche Richterwahlen zu sorgen."
Stephan Detjen, Leiter der Deutschlandfunk-Hauptstadtstudios

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

Shownotes
Streit der Bundesregierung
Verfassungsrichterwahl geplatzt – und jetzt?
vom 11. Juli 2025
Moderation: 
Nik Potthoff
Gesprächspartner: 
Friedrich Zillessen, Jurist bei Verfassungsblog.de
Gesprächspartner: 
Stephan Detjen, Leiter des Deutschlandfunk-Hauptstadtstudios