Beim Blick auf die Karte scheint die Sache klar - von der Küste Libyens nach Europa ist es nur ein Katzensprung. Doch was die meisten Flüchtlinge nicht ahnen: In dem nordafrikanischen Land erwartet sie kein sicherer Hafen, sondern die Hölle.
In den Häfen an der Nordküste von Libyen sammeln sich Flüchtlinge aus afrikanischen und arabischen Ländern. Ihr Ziel: ein Platz auf einem Schlepperboot - und dann ab nach Europa. Was für Libyen als Ausgangspunkt spricht? Von der Küste sind es gerade mal 300 Kilometer bis nach Europa. Und im Land regiert das Chaos. Es herrscht Bürgerkrieg, zwei Regierungen ringen um die Macht - ein ideales Biotop für Schleuser.
Neues Geschäftsfeld: Menschenschmuggel
Schon zu Zeiten von Muammar Al-Gaddafi war Libyen eine Hochburg von Schmugglern, erzählt unsere Korrespondentin Karin Senz. In der letzten Zeit ist neben Waffen und Drogen ein neues Geschäftsfeld dazugekommen: Menschen. Dabei fangen die Schleuser die Flüchtlinge an der südlichen Grenze Libyens ab und bringen sie durch die Wüste nach Norden. Die Organisation der kriminellen Banden erinnert an Reiseveranstalter: In Tripolis sitzt der Kopf, der den Schmuggel organisiert - als Deluxe-Passage zum happigen Preis oder das Low-Budget-Programm. Nach Schätzungen kostet eine Fahrt von Libyen übers Mittelmeer 1500 Euro. Bei bis zu 1000 Passagieren pro Fahrt verdienen die Schlepper also rund 1,5 Millionen Euro pro Fahrt.
"Die Schleuser machen einen Unterschied - wer aus arabischen Ländern kommt muss mehr bezahlen als Flüchtlinge aus Schwarzafrika."
Weitere Details zu den Schlepperbanden lassen sich nur schwer ermitteln, weil es kaum möglich ist, nach Libyen zu gelangen. Im Land herrscht Bürgerkrieg, in der Hauptstadt Tripolis sitzt eine islamistisch geprägte Regierung und ganz im Osten an der ägyptischen Grenze eine Regierung, die vom Westen anerkannt wird. Dazwischen bekämpfen sich unterschiedliche Milizen, die auch ins Schleusergeschäft verwickelt sein sollen, sagt Karin Senz.
Zweiklassengesellschaft auf der Flucht
Die Kunden der Schleuser stammen in der letzten Zeit häufig aus Syrien. Eine zweite große Gruppe flieht aus dem ostafrikanischen Eritrea oder aus Zentralafrika. Für die Schleuser eine Zweiklassengesellschaft. Flüchtlinge aus arabischen Ländern müssen mehr für die Überfahrt zahlen, weil sie in der Regel mehr Geld haben. Schwarzafrikaner sind bei den Schleusern dagegen weniger gut angesehen. Für sie ist oft nicht mal eine Schwimmweste übrig. Beobachter gehen davon aus, dass Flüchtlinge Wochen und Monate auf ihre Passage warten müssen, teils in Auffanglagern unter katastrophalen Bedingungen. Das große Problem: Für die meisten Hilfsorganisationen ist Libyen eine No-Go-Area.
Viele Flüchtlinge erkundigen sich zwar über ihren Weg nach Europa - über zuverlässige Schlepper und die verschiedenen Routen - eine Wahl haben sie aber meistens nicht. Und wenn sich ein Flüchtling im letzten Moment entscheidet, nicht ins Boot zu steigen, kann es passieren, dass ihn die Schleuser gewaltsam an Bord verfrachten. Ein System, dass ihn zurück in seine Heimat bringt, gibt es nicht.