Die Welt stürzt auf uns ein mit einer Vielfalt von Eindrücken. Doch was wir sehen, fühlen oder riechen, bestimmen wir zum großen Teil selbst. Wir wählen aus, was wir überhaupt wahrnehmen. Kleine Kinder müssen das erst lernen. Ein Vortrag über die Entwicklung von Wahrnehmung und Sprache der Psychologin Nivedita Mani.

Jetzt erzähle ich dir eine Geschichte: Der Junge reitet das braune Pferd." Eine freundliche, zugewandte Stimme liest diesen Satz. Das kleine Kind hört zu. Es nimmt an einer Studie des Babylab Wortschatzinsel in Göttingen teil. Dort untersucht ein Team von Psychologinnen und Psychologen, wie Kinder Sprache lernen und wie sie ihre Welt wahrnehmen.

"Wir als Erwachsene verarbeiten etwa 125 bis 180 Laute pro Minute. Ein Trick, den wir verwenden, ist, dass wir vieles schon vorhersagen, was vielleicht kommt. Unsere Frage war: Können Kinder das auch schon?"

Menschen verarbeiten eine erstaunliche Menge an Lauten pro Minute, um Sprache verstehen zu können. Das gelingt uns nur, weil wir gezielt und selektiv auf bestimmte Informationen achten.

Erforschen der frühen Sprachwahrnehmung

Wir konzentrieren uns auf das, was neu und wichtig ist. Um das tun zu können, verarbeiten wir alte Standardinformationen schnell, zum Beispiel, indem wir "voraussagen", was in einem Satz als nächstes folgt.

"Wenn das Kind das Wort 'reiten' hört und schon auf das Pferd guckt, bevor das Wort 'Pferd' ausgesprochen wird, dann ist das ein Zeichen, dass das Kind Sprache vorhersagen kann."

In dem Satz "Der Junge reitet das braune Pferd", antizipieren Erwachsene schon beim Wort "reiten", dass das Wort "Pferd" folgen könnte. Aber können kleine Kinder das auch schon? Ja, sagt Nivedita Mani.

Sie Professorin für Psychologie der Sprache an der Universität Göttingen und Leiterin des Babylab. In ihrem Vortrag erzählt sie anschaulich, wie sie und ihr Team die Sprach- und Wahrnehmungsentwicklung von Kindern erforschen.

"Kinder bestimmen sehr oft selber, von wem sie lernen wollen, ob sie lernen wollen, wann sie lernen wollen und wie sie lernen wollen."

Kinder lernen Sprache im wechselseitigen Austausch mit ihrer Umwelt, sagt Nivedita Mani. Was, wann und wie sie lernen, wird von vielen Faktoren beeinflusst, auch vom Kind selbst. Wofür sich ein Kind interessiert, bestimmt zum Beispiel maßgeblich, was es lernt.

Selbstbestimmtes Lernen

Ein Kind, das gerne mit Fahrzeugen spielt, lernt das Wort "Heudrescher" schneller und behält es länger als ein Kind, das sich vor allem für Tiere interessiert. Kinder bestimmen zu einem großen Teil selbst, wann sie lernen wollen, von wem sie lernen wollen und was sie lernen wollen.

Wenn sie jemandem zum Beispiel nicht vertrauen, weil er ihnen zuvor falsche Sachen erzählt hat, dann schenken sie ihre Aufmerksamkeit lieber einer anderen Person.

Die Vortagende:

Nivedita Mani lehrt an der Georg-August-Universität Göttingen in der Abteilung Psychologie der Sprache.

Der Vortrag:

Ihr Vortrag hat den Titel "Ich sehe was, was Du nicht siehst: Wie Kinder sich ihre eigene Welt erschaffen". Sie hat ihn am 17. November 2022 in Wolfsburg gehalten, im Rahmen einer Vortragsreihe zum Thema Wahrnehmung, die das Science Center Phaeno in Zusammenarbeit mit der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft veranstaltet hat.

Shownotes
Wahrnehmung
Wie Kinder sich ihre eigene Welt erschaffen
vom 03. Februar 2023
Moderation: 
Sibylle Salweski
Vortragende: 
Nivedita Mani, Psychologin, Universität Göttingen