30 Jahre ist die Wiedervereinigung nun her. Genug Zeit also, um Vorurteile und Unterschiede abzubauen. Doch es gibt sie immer noch. Höchste Zeit, sich genau darüber zu unterhalten, sagt Politikwissenschaftler Johannes Staemmler.
Für die Millennials, die ein geteiltes Deutschland nicht mehr erlebt haben, müsste die Unterscheidung in Ost- und Westdeutschland eher eine geografische Bedeutung haben. Stattdessen sind sie durch die Vorurteile ihrer Eltern geprägt, teilweise haben sie sie einfach übernommen.
Tatsache ist, dass es bis heute strukturellen Unterschieden gibt, mit denen die Millennials groß geworden sind: Im Westen gibt es schlichtweg mehr Kapital. Das hat sich auf ihr Heranwachsen ausgewirkt, erklärt der Politikwissenschaftler Johannes Staemmler.
"Im Westen war es gut möglich, dass jemandem zwischen 20 und 40 ein Erbe zukam. Das war bei uns im Osten meist nicht der Fall."
Eine finanzielle Sicherheit gab es für die meisten heranwachsenden Ostdeutschen also nicht. Das hat sich auf die Risikobereitschaft und die Karriereplanung ausgewirkt, meint Johannes Staemmler. Im Osten hätten die Millennials früher als die im Westen sich fragen müssen, wie sie finanziell abhängig werden können.
Ostdeutsche keine Bürger zweiter Klasse
Manchmal ist auch heute noch die Rede von Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse. Johannes Staemmler findet: So kann man das nicht sagen. In Deutschland hat jeder Bürger die gleichen Rechte.
Anders sieht es allerdings mit den Chancen aus. Hier gibt es sehr wohl Unterschiede. Doch diese betreffen nicht nur Ostdeutsche, sondern genauso etwa Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung.
Über Unterschiede reden
Um die Chancengleichheit für alle zu verbessern, sei es aber auch notwendig über den Unterschied zu reden, den es mache, ob man im Osten oder Westen aufgewachsen sei, sagt Johannes Staemmler.
"Gleichheit beginnt nicht erst beim Gesetz, dort mündet sie. Sondern sie beginnt im Gespräch."
Den Dialog also aufzunehmen, sich über Herkunft und das eigene Aufwachsen austauschen, sei enorm wichtig. Entgegen der Stimmen, die Diskussion zwischen Ost und West seien "alte Kamellen", würden in vielen Köpfen noch die gleichen Vorurteile vorherrschen.
Verleugnen der Herkunft wegen negativem Image
So würden die Probleme der Bundesrepublik in den Osten verlagert, so als würde es nur dort Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus geben. Das sei problematisch und entspreche nicht der Wirklichkeit. Johannes Staemmler kommt selbst aus Dresden und hat früher seine Herkunft wegen der negativen Konnotation verleugnet, die dem Osten oftmals beigemischt würden. Das macht er heute nicht mehr.
Herkunft ist nicht die gesamte Identität
Für Johannes Staemmler spielt die Herkunft heute schlichtweg keine so große Rolle mehr. Für viele sei der Ort, an dem sie aufgewachsen sind, nur eines von vielen Merkmalen ihrer Identität. Und so sollten wir sie auch behandeln, findet er. Dazu gehöre, sie weder zu verneinen, noch zu glorifizieren.
Denn egal ob nun im Osten oder Westen aufgewachsen, unser Heimatort sei vor allem eine persönliche Erinnerung und kein Politikum. Wenn wir über Osten und Westen reden, sollten wir dabei nicht aus den Augen lassen, dass es sich in erster Linie um konkrete Orte und Menschen handelt.
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