Wenn wir das Klima noch retten wollen, müssen wir ganz schnell zurückschrauben – so die weit verbreitete Meinung. Schlechte Idee, sagt Klimawissenschaftler Anders Levermann: Wir brauchen eine Null-Emissions-Grenze – aber zugleich brauchen wir Wachstum.

Unser Planet hat Grenzen. Sie stehen im Konflikt mit der Dynamik der Gesellschaften, die ihn bewohnen und nutzen. Vor allem mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung: So weit, so bekannt – und auch überwiegend anerkannt.

Planetare Grenzen vs. gesellschaftliche Dynamik

Um den Planeten, die Umwelt und auch jene Gesellschaften zu retten, liegt es nahe zu sagen: Wir müssen uns einschränken, verzichten, rückbesinnen, um die Kapazitäten der Erde nicht unwiederbringlich zu sprengen.

"Wenn wir projizieren, wie sich die Wetterveränderungen entwickeln, finden wir, dass der Klimawandel uns derart wirtschaftlich schaden wird, dass die Kosten, die entstehen, dadurch, dass sie Klimaschutz betreiben, dagegen verschwindend gering sind ."
Anders Levermann, Klimawissenschaftler

Wir müssen zwar Klimaschutz betreiben, sagt der Klimawissenschaftler Anders Levermann, und plädiert sogar für eine 0-Emissions-Grenze. Verzicht sei aber keine Lösung. Gesellschaften brauchten Entwicklung und Wirtschaftswachstum. Wie passt das zusammen?

"Ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass wir Wirtschaftswachstum nicht aufgeben sollten."
Anders Levermann, Klimawissenschaftler

Das muss kein Gegensatz sein, sagt er, es könnte eine Lösung für dieses Dilemma geben: das mathematische Prinzip der Faltung. Das erlaube unendliches Wachstum innerhalb einer endlichen Erde.

"Null bedeutet, dass wir nicht weniger machen müssen, nicht weniger produzieren müssen, sondern dass wir alles anders machen müssen."
Anders Levermann, Klimawissenschaftler

Unendliches Wachstum trotz Klimaschutz – klingt nach Träumerei? Wenn Anders Levermann das Prinzip Faltung in seinem Vortrag erklärt, Beispiele aus der Geschichte heranzieht, wo wir eine solche Faltung schon mal hingelegt haben, und dann auch praktische Vorschläge macht, wie sie jetzt aussehen könnte, dann scheint es plötzlich doch greifbar.

Anders Levermann ist Professor für Dynamik des Klimasystems an der Universität Potsdam und Leiter der Abteilung Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Außerdem forscht er an der Columbia University in New York. Er ist auch Mitglied des Weltklimarats IPCC.

Sein Vortrag trägt den Titel "Die Faltung der Welt – ein freiheitlicher Weg aus Klimakrise und Wachstumsdilemma" und ist an sein Buch zum Thema angelehnt, das im Oktober 2023 erscheinen wird. Aufgezeichnet wurde der Vortrag am 13. Juli 2023 an der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen der Mosse-Lectures.

KORREKTUR: In einer früheren Version dieses Textes stand, Anders Levermann fordere eine 0-Grad-Grenze. Das ist falsch und wäre wissenschaftlich unsinnig, Anders Levermann würde dafür nicht plädieren. Richtig ist: Er spricht sich für eine Null-Emissions-Grenze aus. Der Fehler beruht auf einem Versprecher der Autorin, den sie auch in den Text übernommen hat. Im Audio wurde der fehlerhafte Satz in der Moderation nachträglich entfernt.

Shownotes
Klimawissenschaftler Levermann
Wirtschaftswachstum trotz Klimaschutz: Ist das möglich?
vom 24. August 2023
Moderation: 
Katrin Ohlendorf
Vortragender: 
Anders Levermann, Leiter der Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung