In einem Jahr dreht sich die Erde mal etwas schneller, im nächsten dann mal etwas langsamer. Damit sich unsere Zeitmessung nicht verschiebt, fügen wir manchmal eine Schaltsekunde hinzu.

Die Drehung der Erde war in den letzten Jahrzehnten häufig ein kleines bisschen langsamer. So kam es vor, dass immer wieder mal ein Jahr einen Sekundenbruchteil zu kurz war. Im Verlauf der Jahre wurde die fehlende Zeit dann mit einer zusätzlichen Schaltsekunde ausgeglichen.

Schaltsekunden wurden eingeführt, damit unsere Zeitmessung weiterhin mit dem Lauf der Sonne übereinstimmt. 2016 wurde zum 27. Mal in 44 Jahren eine Schaltsekunde hinzugefügt.

Im Jahr 2020 hat sich die Erde aber außergewöhnlich schnell gedreht, sagt Andreas Bauch, Physiker vom Zeitlabor der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Er leitet die Arbeitsgruppe "Verbreitung der gesetzlichen Zeit". Als Konsequenz könnte das heißen, dass 2021 zum allerersten Mal überhaupt eine Schaltsekunde abgezogen werden müsste, damit unsere Zeitrechnung wieder stimmt. Bisher gab es immer nur zusätzliche Schaltsekunden obendrauf.

"Es ist in der Tat so, dass die Astronomen beobachten, dass die Erde sich ungewöhnlich schnell gedreht hat im Jahr 2020. Eine negative Schaltsekunde, also eine Sekunde einzusparen, das wird es am Ende des Jahres nicht geben. Das glaube ich nicht."
Andreas Bauch, Physiker vom Zeitlabor der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

Dass die Erde sich unregelmäßig schnell dreht, liegt daran, dass es bei unserem Planeten nicht um einen starren Körper handelt, sagt Andreas Bauch. Sie besteht aus verschiedenen Bestandteilen: dem festen Kern, dem flüssigen Kern und weiteren Schichten. Obenauf liegen die tektonischen Platten, auf denen wir vermeintlich sicher stehen, sagt der Physiker. Um die Erde herum befindet sich die Atmosphäre. Das Ganze ist ein rotierendes System.

Wie eine Eiskunstläuferin, die eine Pirouette macht

Je nach der Größe des Trägheitsmoments, dem Abstand der Masse von der Drehachse, dreht sich die Erde mal schneller und mal langsamer.
Der Physiker vergleicht die Erde mit einer Eiskunstläuferin, die eine Pirouette macht. Winkelt sie die Arme eng an den Körper an, wird ihre Drehachse kleiner, und sie dreht sich schneller.

Ist die Schaltsekunde noch zeitgemäß?

Aber auch, wenn die Erde sich 2020 etwas schneller gedreht hat: Andreas Bauch geht trotzdem nicht davon aus, dass uns am Ende des Jahres 2021 eine Schaltsekunde weggenommen wird. Er stellt auch das Konzept der Schaltsekunde an sich infrage: Die Frage nach der Relevanz hält der Physiker für ein Politikum. Das ganze System sei in den 1960er- und 1970er-Jahren festgelegt worden. Zur damaligen Zeit wollten man, dass die Zeit einen engen Bezug zur Drehung der Erde behält.

Zeitmessung an mittlerer Sonnenzeit orientiert

Der praktische Grund war, dass zu dieser Zeit die astronomische Navigation an Bord von Schiffen noch sehr verbreitet war. Für die Schifffahrt sei es wichtig gewesen, dass sich alle Zeitinformationen, über die ein Schiff verfügt, der mittleren Sonnenzeit entsprechen. Da man heute keine Sextanten und astronomische Navigation mehr nutzt, sondern ein Schiff in der Regel mit GPS navigiert, gibt es unter Fachleuten eine Debatte darüber, ob Schaltsekunden noch zeitgemäß sind. Allerdings konnte bisher noch keine Einigung gefunden werden.

Shownotes
Streit um Schaltsekunde
Eine Sekunde mehr oder weniger – spielt das wirklich eine Rolle?
vom 14. Januar 2021
Moderator: 
Paulus Müller
Gesprächspartner: 
Andreas Bauch, Physiker vom Zeitlabor der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), Arbeitsgruppe "Verbreitung der gesetzlichen Zeit"