Wie zufrieden waren die Menschen früher - wie sieht es heute aus? Ein Forschungsteam hat Google-Books gescannt und ausgewertet, zu welchen Zeiten das Geschriebene eher positiv beziehungsweise negativ war. Daraus ziehen sie Rückschlüsse auf die Zufriedenheit der Bevölkerung zum jeweiligen Zeitpunkt.

Ein deutsch-britisches Forschungsteam hat sich die Frage gestellt, ob die Menschen früher glücklicher waren. Zwar gibt es dazu – auch EU-weit – Befragungen seit den 1970er-Jahren, für den Zeitraum davor gab es aber keine Daten.

Also haben sie sich an anderem Datenmaterial bedient und Google Books gescannt.

"Die Forschenden haben alles an Büchern, Zeitungsartikeln und anderen Schriften ausgewertet, die sie leicht in die Finger kriegen konnten."
Sophie Stigler, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Google Books umfasst acht Milllionen Bücher, was angeblich sechs Prozent aller jemals erschienenen Bücher entspricht. Die Forschenden haben die Texte nach Wörtern durchsucht, die Gefühle beschreiben und daraus einen Glücksindex erstellt.

Wörter aus Texten geben Aufschluss über allgemeine Zufriedenheit

Die Autoren und die Autorin der Studie sagen, dass die Zeitungs- und Büchertexte, die mithilfe von Google Books gescannt wurden, tatsächlich widerspiegeln, wie sich die Menschen damals gefühlt haben.

Auch andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich anhand solcher Textanalysen und Indizes Stimmungen in der Gesellschaft abbilden lassen. Außerdem geht das Autorenteam davon aus, dass Zeitungen das schreiben, worin sich Leser und Leserinnen wiederfinden.

Börsencrash und Kriege lassen sich ablesen

Die Ergebnisse aus Google Books wurden mit Ergebnissen aus Umfragen seit den 1970er-Jahren abgeglichen. Dabei habe es ziemlich exakte Übereinstimmungen gegeben, was ein Hinweis darauf sei, dass die Schlussfolgerungen der Studie zutreffend sind, lassen die Studienautoren wissen.

Die errechnete Zufriedenheitskurve reicht von 1820 bis zum Jahr 2009 für die Länder USA, Großbritannien, Italien und Deutschland. Viele wichtige Ereignisse spiegeln sich darin wider wie der Bürgerkrieg in den USA, der großer Börsencrash von 1929 oder die Revolutionen in Europa. Auch lassen sich der Vietnamkrieg in USA, und die beiden Weltkriege ablesen. In diesen Zeiträumen geht die Kurve deutlich nach unten. Mit einer Ausnahme.

"Ich war sehr verwundert, dass die Zufriedenheitskurve im Zweiten Weltkrieg in Deutschland bis zum Kriegsende ziemlich steil nach oben geht – und erst danach abfällt."
Sophie Stigler, Deutschlandfunk Nova

Die Zufriedenheitskurve auf der Grundlage der Textanalyse zeigt, dass die Menschen in Deutschland bis 1945 ziemlich glücklich gewesen sein müssen. Da auch die Forschenden davon ausgehen, dass das bei den meisten nicht der Fall gewesen sein dürfte, haben sie nach Erklärungen gesucht. Sie gehen davon aus, dass die Texte zu dieser Zeit ziemlich stark von Propaganda durchsetzt waren und dies das Bild verfälscht.

Ähnlich kritisch muss die Zufriedenheit im 19. Jahrhundert betrachtet werden. Laut der ermittelten Kurve waren die Menschen bis 1850 in Deutschland zufriedener als heute. Bei diesen Zahlen müsse laut des Forscherteams aber berücksichtigt werden, dass Bücher um 1800 eher etwas für reichere Leute waren. Erst nach 1900 sei es üblich gewesen in der Literatur etwas über Armut oder soziale Missstände zu schreiben.

Zufriedenheit in Deutschland seit den 1950er Jahren gleich

Eher vergleichbar seien die etwas neueren Zahlen, so das Fazit der Studie. Und daran lässt sich beispielsweise ablesen, dass sich in Deutschland seit den 1950er Jahren nur wenig verändert hat und die Zufriedenheit insgesamt auf gleichbleibendem Niveau geblieben ist. Anders sieht es in den Ländern Italien, Großbritannien und USA aus. Hier ginge die Zufriedenheitskurve seit den 1970er Jahren stetig nach oben.

Shownotes
Google-Books-Analyse
Literatur verrät uns, wann wir wie glücklich waren
vom 15. Oktober 2019
Moderator: 
Markus Dichmann
Gesprächspartnerin: 
Sophie Stigler, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin