Sie heißen "Fiftyfifty", "Bodo", "Hinz und Kunzt" oder "Kippe": Straßenzeitungen werden meist in Großstädten verkauft von Menschen, die auf der Straße leben. Bei einigen der Zeitungen ist das Geld knapp. Wie steht es aktuell um die Branche?

Die Zentrale der Straßenzeitung "Fiftyfifty" in Düsseldorf ist ein großes Büro mit Galerieräumen drumherum. Dort werden gespendete Kunstwerke berühmter Künstler*innen verkauft, um damit Einnahmen zu generieren. Von den Erlösen kauft Fiftyfifty Wohnungen für Obdachlose, erklärt Hubert Ostendorf, Mitgründer, Geschäftsführer und leitender Redakteur der Zeitung.

"Wir wollen nicht nur die Zeitung Fiftyfifty machen, sondern auch ganz konkrete Hilfen anbieten, um Menschen, die lange schon auf der Straße sind, mit Wohnraum zu versorgen."
Hubert Ostendorf, Geschäftsführer von Fiftyfifty

Seit 2007 verkauft Sandra Martini die monatlich erscheinende Zeitung, sie ist eine von rund 400 Personen, die das tun. Gut sichtbar trägt sie einen Verkaufsausweis – auf Ausweis und Zeitung ist dieselbe Identifikationsnummer gedruckt, um Betrügereien vorzubeugen: Sandra und die anderen Verkäufer*innen zahlen 1,40 Euro pro Zeitung – auf der Straße verkauft wird die Zeitung dann für 2,80 Euro. Die Differenz ist der Gewinn: Fifty fifty eben.

"Mit der Zeitung zeigt man, dass man arm ist."
Sandra Martini, Verkäuferin von Fiftyfifty

In der Zeitung werden in journalistischen Texten die Probleme der Menschen benannt, die von Armut betroffen sind. In der aktuellen Ausgabe passiert das zum Beispiel in einem Interview mit der Schauspielerin Anna Schudt, die sich für Housing First starkmacht. In diesem Ansatz aus der US-amerikanischen Sozialpolitik wird obdachlosen Menschen als erster Schritt der Zugang zu einer fremdfinanzierten Wohnung gewährt, damit sie von der Straße wegkommen.

Die meisten der Personen, die die Fiftyfifty verkaufen, leben auf der Straße. Aber nicht alle. Manchen konnte eine Wohnung vermittelt werden. Geld, um davon zu leben, haben allerdings die wenigsten.

Zukunft der Zeitung ist bedroht

Dieses Gefühl kennt auch die Zeitung selbst. "Die Zukunft unserer Straßenzeitung Fiftyfifty ist bedroht. Die Digitalisierung und die anhaltende Corona-Krise machen uns schwer zu schaffen", ist auf der Website des Magazins zu lesen.

"Die Situation ist im Moment so, dass wir finanziell gerade eben über die Runden kommen."
Hubert Ostendorf, Geschäftsführer von Fiftyfifty

Viele, die die Zeitung früher gekauft haben, tun das inzwischen nicht mehr, sagt Sandra. Während der Pandemie waren bedeutend weniger Menschen unterwegs. Die Verkaufszahlen und damit die Umsätze für die Verkäufer*innen gingen zurück – und haben seitdem nicht mehr das vorherige Niveau erreicht.

Und auch die Redaktion selbst ist betroffen: Durch die Inflation und die Energiekrise ist es momentan deutlich teurer, die Zeitung zu machen – teurer als ohnehin schon. Die Herstellung der zwölf Ausgaben – mit allen Kosten, die damit verbunden sind – belaufen sich auf etwa 300.000 Euro im Jahr, rechnet Hubert Ostendorf vor.

Keine öffentlichen Gelder

Öffentliche Gelder, die der Fiftyfifty und anderen deutschsprachigen Straßenzeitungen helfen könnten, gibt es nicht. Der Stuttgarter "Trottwar" oder die Bremer "Zeitung der Straße" haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Der Wiener "Augustin" setzt sogar auf ein Fundraising, um die eigene Zukunft zu sichern.

Für die Fiftyfifty in Düsseldorf sieht Hubert Ostendorf das nicht. Er möchte, dass die Zeitung sich selbst trägt.

"Reine Digitalausgabe funktioniert nicht"

Dass weniger gedruckte Zeitungen verkauft werden, ist kein exklusives Problem von Obdachlosen- bzw. Straßenzeitungen. Zeitungen aus Papier laufen längst dem Zeitgeist hinterher. 2010 hat Fiftfyfifty noch etwa 40.000 Zeitungen im Monat verkauft – heute sind es noch ungefähr die Hälfte.

Auf eine rein digitale Ausgabe zu setzen, funktioniere nicht, um den Verkäufer*innen Einkünfte zu verschaffen und die Zeitung am Leben zu halten, sagt Hubert Ostendorf. Der Straßenverkauf ist also nach wie vor die bessere Alternative, um Menschen dazu zu bewegen, 2,80 Euro für die Zeitung auszugeben.

"Eine reine Digitalausgabe ist ausprobiert worden von vielen anderen Kolleginnen und Magazinen. Es funktioniert nicht."
Hubert Ostendorf, Geschäftsführer von Fiftyfifty

Trotzdem gibt es die Fiftyfifty zusätzlich als digitale Version der Zeitung, als - deutlich teureres - Abo: Zwölf Ausgaben kosten 99 Euro. Weil bereits 1500 Menschen ein solches Abo abgeschlossen haben, könne Fiftfyfifty damit ein Drittel der Gesamtkosten decken – laut Hubert Ostendorf ist das ein wesentlicher Grund dafür, dass die Lage nicht noch bedeutend angespannter ist.

Respekt vor den Verkäufer*innen

Die gedruckte Zeitung sollte doch für die meisten Menschen drin sein, findet Hubert Ostendorf. Eine Tasse Kaffee koste oft mehr. Wer die 2,80 Euro trotzdem nicht ausgeben wolle, könne den Verkäufer*innen aber wenigstens mit einem freundlichen "Nein, danke!" begegnen, sagt Sandra Martini. Das passiere aber selten, sagt sie. Häufig schauten die Leute weg oder wechselten die Straßenseite, um nicht angesprochen zu werden.

Einfach so einen Euro in ihre Verkaufsdose möchte sie übrigens nicht. Sie sei ja keine Bettlerin.

"In dem Moment, wo der Mensch einem die Zeitung nicht abnimmt, sondern einfach nur Geld gibt, degradiert man mich zum Bettler. Es sollen ja keine Almosen sein."
Sandra Martini, Verkäuferin von Fiftyfifty

Korrektur

Im Audio-Beitrag heißt es fälschlicherweise, die Verkäufer*innen zahlten 1,20 Euro pro Zeitung, verkauft werde die Zeitung für 2,40 Euro. Korrekt ist 1,40 Euro und 2,80 Euro. Im Artikel haben wir die Zahlen am 20. April 2023 korrigiert.

Shownotes
Zwischen Papier und digital
Straßenzeitungen im Umbruch
vom 03. März 2023
Autor: 
David Freches, Deutschlandfunk Nova