Der NSU-Prozess in München ist abgeschlossen – auch in der Kölner Keupstraße geht das Leben weiter. Unser Reporter hat sich einen Eindruck von der Stimmung gemacht.

Nach fünf Jahren sind am 11. Juli die Urteile im NSU-Prozess in München gesprochen worden. Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei ihr hat das Gericht eine besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Terroristin wurde in zehn Fällen als Mittäterin wegen Mordes und wegen schwerer Brandstiftung verurteilt. Die Mitangeklagten André Eminger, Holger Gerlach, Carsten S. und Ralf Wohlleben verurteilte das Gericht wegen Beihilfe zu Haftstrafen.

Von lückenloser Aufklärung keine Spur

Am 9. Juni 2004 erschüttert eine Bombenexplosion die von türkischen Geschäften geprägte Kölner Keupstraße. Terroristen brachten eine ferngezündete Nagelbombe vor einem Frisiersalon türkischer Besitzer zur Explosion. Es gibt 22 Verletzte, darunter mehrere lebensgefährlich Verwundete.

Unser Reporter Christian Schmitt war in der Straße in Köln-Mühlheim unterwegs. Sein Eindruck: Alles wirkt normal und das Leben geht dort seinen gewohnten Gang. Als er mit Anwohnern spricht, hört er vom Wunsch auf ein friedliches Miteinander, trifft angesichts des Prozessergebnisses aber auf Verärgerung.

"Die Leute hatten die Hoffnung, dass wie die Frau Bundeskanzlerin damals versprochen hatte, für lückenlose Aufklärung gesorgt wird und das ist nicht geschehen."
Muhammad Özkan, Juwelier auf der Keupstraße

Jahrelang galten die Anwohner selbst als Hauptverdächtige. Sie wurden rund sieben Jahre lang offen verdächtigt und von der Polizei intensiv observiert. Der Anschlag kann wegen des 2011 mutmaßlich von Beate Zschäpe versendeten Bekennervideos dem Nationalsozialistischen Untergrund zugeordnet werden.

"Die Leute sind verbittert. Sieben Jahre lang standen Bewohner der Keupstraße unter Generalverdacht."
Christian Schmitt, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Im Verlauf des NSU-Verfahrens zeigt sich, dass der Anschlag weitaus größeren Schaden hätte anrichten können. Die Bundesanwaltschaft wertet den Anschlag als versuchten Mord in 32 Fällen und als gefährliche Körperverletzung in 23 Fällen. 

Christian hat mit einer Geschäftsinhaberin in der Keupstraße gesprochen. Meral Sahin hebt hervor, dass für sie die Verletzten und materiellen Schäden angesichts der jahrelangen Verdächtigungen in den Hintergrund getreten sind.

"Der eigentliche Anschlag hat zwar etwas kaputt gemacht und 22 Menschen verletzt, vielmehr haben diese sieben Jahre mit Beschuldigungen kaputtgemacht."
Meral Sahin, Vertreterin der Geschäftsleute in der Keupstraße und Betreiberin eines Geschäfts für Hochzeitskleidung

Deswegen ist die Verurteilung der fünf NSU-Terroristen in München für die Menschen in der Keupstraße und für die Geschäftsfrau kein richtiger Schlussstrich. Für sie ist es vielleicht ein gestrichelter.

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Shownotes
An einem NSU-Anschlagsort
Falscher Verdacht und echte Opfer
vom 11. Juli 2018
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Christian Schmitt, Deutschlandfunk-Nova-Reporter