In der Schule zeigt sich, wie groß die Chancenungleichheit ist. Kinder aus armen Familien schneiden oft schlechter ab. Ein Lösungsansatz, der weit verbreitet ist, sieht es als Aufgabe der Schüler an, sich selbst zu helfen. Eine neue Studie widerlegt das.
Bildungsforschung macht deutlich, dass Kinder aus benachteiligten Familien schlechtere Bildungschancen haben, sagt die Bildungsforscherin und Soziologin Isabel Raabe von der Uni Zürich. Wie lässt sich das ändern?
Die Bildungsforscherin ist dieser Frage zusammen mit Kollegen der Uni Cambridge und der Uni Tübingen nachgegangen. Das Ergebnis präsentieren sie in ihrer aktuellen Studie. Dafür haben sie Daten von mehr als 240.000 Teenagern aus über 70 Ländern genutzt.
Weitverbreitete Annahme widerlegt
Die Forschenden haben für ihre Untersuchung eine Annahme überprüft, die in der Wissenschaft und Bildungspolitik weitverbreitet ist: Danach könnten sich benachteiligte Schüler*innen selbst helfen, indem sie ihre Einstellung und Denkweise verändern. Es käme darauf an, dass die Kinder und Jugendlichen an sich glauben und auch daran, dass sie in der Schule besser werden können.
Dieser Ansatz wird auch Growth Mindset genannt. "Andere Forschung propagiert im Prinzip, dass es ganz stark darauf ankommt und dass das auch ein Schlüssel sein kann, wie man diese Schere zwischen arm und reich schließen kann", sagt Isabel Raabe.
"Wenn man im Prinzip sagt: 'Es ist einfach eine Frage der Einstellung, es ist etwas, was man einfach lernen kann', birgt das die Gefahr, dass man den Kindern selbst die Schuld an ihrem Schicksal gibt."
Die neue Studie entkräftet diese Annahme jetzt. Wenn sich Kinder aus ärmeren und wohlhabenderen Familien gleich verhalten und gleich denken im Sinne des Growth Mindsets, würde das die Leistungslücke um rund neun Prozent verkleinern. Der Einfluss dieser Denkweise spielt bei der Chancenungleichheit also nur eine kleine Rolle. Zumal diese Perspektive auch die Gefahr birgt, dass man den Kindern selbst die Schuld an ihrem Schicksal gibt, so die Bildungsforscherin.
Es braucht frühere und bessere Förderung
Die Lösungskonzepte müssten stattdessen im Zuhause der Kinder ansetzen, weil viele der strukturellen Nachteile dort ihren Ursprung hätten. "Was wir sehen, ist, dass Kinder aus eher privilegierten Verhältnissen zum Beispiel einen deutlichen Vorsprung in ihren kognitiven Fähigkeiten haben, schon bevor sie mit der Schule anfangen", erklärt die Studienautorin.
Was also helfen könnte, ist eine frühere Schulzeit. Würden kleinere Kinder in eine Vorschule gehen, würden sie auch früher gefördert. So wäre zum Beispiel sichergestellt, dass den Kindern vorgelesen wird, sie Museen und andere Orte der Bildung und Kultur kennenlernen. Unterschiede zwischen benachteiligten und wohlhabenden Familien würden so schneller abgefangen. Die Leistungslücke würde effektiver geschlossen. Das langfristige Ziel sollte zudem sein, Armut grundlegend zu bekämpfen.