Obwohl wir zu Hause festhängen, schreit die Isolation nach Produktivität und Selbstoptimierung. Dabei könnten wir gerade jetzt einen Gang zurückschalten.
"Es gibt kein Recht auf Faulheit" hat Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal gesagt. Aber gilt das auch für die Isolationszeit in der Corona-Pandemie? Während manche von uns aktuell nichts mit sich selbst anzufangen wissen, posten andere mit Stolz ihre Fitnessroutinen und Bananenbrotrezepte. Und wer nicht gerade seine Bauchmuskeln trainiert oder Kleiderschränke generalüberholt, wird schnell als faul abgestempelt. Warum ist das eigentlich so? Und wie viel Nichtstun dürfen wir uns eigentlich erlauben?
Eine Pandemie ist kein Produktivitätscontest
Dass jetzt manche von uns basteln, trainieren und meditieren, setzt andere eher unter Druck. Vor allem, weil wir uns dem Aktivitäts-Boom auf Instagram kaum entziehen können. Nicht nur hippe Influencer, sondern auch die nette Nachbarin scheint jetzt täglich Bananenbrot zu backen. Hin und wieder gibt es im Netz aber auch Entwarnung: "Das ist eine Pandemie, kein Wettbewerb in Produktivität."
Die Medienstudentin Denise hat den Post entdeckt und kommentiert. Er hat ihr sehr geholfen.
"Es war gut, zu hören, dass es okay ist, wenn man gerade mal nichts macht. Und dass es okay ist, wenn man sich dem Produktivitätsstrom auf Social Media nicht anschließt."
Denise schreibt an ihrer Bachelorarbeit und würde in diesen Wochen eigentlich ein Praktikum in der Eventbranche absolvieren. Das fällt nun weg. Sie sagt von sich selbst, dass sie ehrgeizig sei, sie interessiere sich sogar für Produktivität und Selbstverwirklichung. "Wenn man dann aber mal Tage hat, wo man merkt, dass man nicht 100 Prozent geben kann, setzt einen das schnell unter Druck."
In ihrer Filterblase gehört Selbstoptimierung ganz selbstverständlich zur Lebenseinstellung. Und das zeigt sich gerade jetzt besonders: "Die Leute schreiben Bücher, kochen gesund und machen Homeworkouts", erklärt sie.
"Mich stressen die Dinge, die ich gerade nicht mache, aber machen sollte."
Um dem Druck zu entfliehen, macht sich Denise klar, welche Dinge sie jetzt angehen sollte und welche warten können. Deshalb ist ein mit Seriengucken verbrachter Tag zwischendurch mal absolut okay. Ihr Tipp: Am besten mit den Freunden telefonieren und mal gar nicht über Corona, Uni oder die Arbeit sprechen.
Ich wiederhole, Instagram ist nicht die Realität
Die Influencerin Jacko Wusch macht einen Podcast über Persönlichkeitsentwicklung, und sie hat sich mit dem Trend zu Selbstverwirklichung beschäftigt. Zu Beginn der Pandemie hat Jacko ihren Followern noch selbst Praxistipps für die Isolationszeit gegeben.
"Ich habe erst nicht darüber nachgedacht, dass das für viele Leute gar nicht so wichtig ist. Vielleicht wollen nicht alle Bananenbrotbäcker werden."
Jetzt empfiehlt Jacko, sich bewusst zu machen, dass viele Posts nicht der Realität entsprechen, weil jede und jeder eben nur das teilt, worauf er oder sie besonders stolz ist. Die Backkreationen, die schiefgegangen sind, bekommen wir hingegen nicht zu Gesicht. Auch in sich reinzuhören hilft. Denn manchmal jagen wir Trends hinterher, die uns tief innen drin gar nicht interessieren: "Will ich überhaupt was verändern und falls nicht, warum setze ich mich dann so unter Druck?"
Dabei hofft Jacko eigentlich nicht auf ein Umdenken ihrer Kollegen. Sie appelliert an die Eigenverantwortung: sowohl die der Influencerinnen aber auch die ihrer Follower.
"Manche Influencer wollen helfen, das sind Workaholics, die arbeiten von zuhause und wissen gar nicht, dass sie die Leute unter Druck setzen."
Die Reaktionen auf Corona sind individuell
Die Psychologin Benthe Untiedt erklärt uns im Gespräch, warum wir uns überhaupt unter Druck setzten. Laut Benthe zeigen wir in der Krise verschiedene Verhaltensmuster.
"Jeder hat eine andere Art mit Stress und Krisen umzugehen."
Dazu zählen zum Beispiel Übersprungshandlungen wie Hamsterkäufe. "Man will irgendwie in Aktion treten, in der Hoffnung, die Kontrolle über die Situation zu bekommen." Die Reise aufs Land zu den Angehörigen ist hingegen eine typische Fluchtreaktion. Wenn wir zu Hause sitzen und keine Antwort auf das Problem finden, dann ist das der Rückfall in eine Art Schockstarre, so Benthe Untiedt.
"Es kann auch sein, dass man ein Bedürfnis nach Ruhe hat."
"Die Strategien sind langfristig nicht gesund." Zu fühlen, dass man sein Leben selbst in der Hand hat, kann aber schon helfen. Das können schon kleine alltägliche Dinge sein, die einem Spaß machen. Genauso legitim sei es aber, wenn man aktiv etwas machen möchte.
Was bedeutet eigentlich Müßiggang?
Nicht nur Gerhard Schröder hat das Faulsein verurteilt. Auch Martin Luther warnte seine Zeitgenossen: "Es ist die größte Versuchung, dass niemand seinen Beruf treulich erfüllt, sondern alle sich der Muße ergeben wollen."
Dabei hat die Menschheitsgeschichte die zweckfreie Zeit früher auch gefeiert. So galt das bewusste Nichtstun in der Antike als Privileg der Freien und des Adels: eine unverzichtbare Grundlage für Kunst und Kultur. Eine Zeit ohne Pflichten, in der man ohne Zwang eine bestimmte Eingebung erfährt – oder eben auch nicht.
Umgangssprachlich ist der Müßiggang in der Gegenwart dennoch negativ konnotiert. So wird der Begriff in der Regel Leuten zugewiesen, die als faul gelten. Der Müßiggang ist zugleich an Begriffe wie Freizeit, Langeweile, Ferien, oder das Sabbatjahr gekoppelt. Paradoxerweise kann uns gerade das Nichtstun sogar optimieren.
So zeigten Untersuchungen der Universität von Illinois, dass kurze Pausen, wie Waldspaziergänge, die körperlicher Hirnaktivität anregen. Die Probanden zeigten nach einer 20-minütigen Pause mit Bewegung bessere Reaktionszeiten und Konzentrationsvermögen. Zudem konnten sie leichter zwischen unterschiedlichen Aufgaben hin- und herwechseln.
Fakten über Selbstoptimierung
- Die Serie "Black Mirror" erzählt in der Folge "Nosedive" von einer Dystopie, in der sich die Menschheit zwangsweise selbst optimiert, um staatliche Leistungen einstreichen zu können. Weil es in China bereits ähnliche Versuche gibt, ist die Episode gar nicht so realitätsfern.
- 54 Prozent der 20- bis 29-Jährigen konnten es sich schon 2015 vorstellen, sich Implantate einsetzen zu lassen, um die geistige Leistung zu steigern.
- Blut-, Speichel-, Stuhl- und Gentests sollen uns fitter machen. Zumindest alle, die bereit sind, dafür Geld auszugeben, können aus den Tests Motivation schöpfen.
- Die Techchefs Elon Musk (Tesla) und Mark Zuckerberg (Facebook) träumen von einer Schnittstelle zwischen dem Gehirn und dem Internet. Damit soll die kognitive Leistung gesteigert werden. Das nennt man Brainhacking.
- Unser natürlicher Schlaf lässt sich durch Fitnesstracker und Apps nicht austricksen.
- Eine Studie hat herausgefunden, dass viele Menschen in Fitnessstudios Gesundheit, Ausdauer und oder das Leistungsvermögen verbessern wollen.
- Fitnesstraining ist in Deutschland noch beliebter als Fußballtraining.
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