Es geht voran mit den Impfungen: Spätestens Ende des Sommers könnten so viele Menschen in Deutschland geimpft sein, dass das Leben wieder einigermaßen normal wird. Das hoffen zumindest viele. Warum wir uns nicht zu früh auf Festivals oder volle Fußballstadien freuen sollten, haben wir mit der Medizinjournalistin Christina Sartori besprochen.

"Herdenimmunität bedeutet: Es sind so viele Menschen immun gegen ein Virus, dass sich das Virus nicht mehr verbreiten kann."
Christina Sartori, Medizinjournalistin

Wie viele Menschen dafür immun sein müssen, damit sich ein Virus nicht mehr verbreiten kann – durch Impfung oder weil sie schon mal mit dem Virus infiziert waren – hängt vom Virus selber ab. Bei Masern geht man davon aus, dass etwa 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein oder die Masern schon mal gehabt haben müssen. Das Masernvirus überträgt sich leichter als das Coronavirus: Ein Mensch, der Masern hat, kann etwa 18 weitere anstecken. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssen also sehr viele Menschen geimpft oder immunisiert sein.

Bei dem Coronavirus Sars-Cov-2 ist für die Herdenimmunität ein geringerer Anteil in der Bevölkerung nötig, der immunisiert sein muss. Wie groß dieser Anteil sein muss, sei schwer zu sagen, weil über das Coronavirus immer noch zu wenig bekannt ist und es noch nicht so viele Erfahrungswerte gibt, erklärt Christina Sartori.

Gefahr: Escape-Varianten

Bekannt ist: Ein mit dem Coronavirus infizierter Mensch steckt im Schnitt drei weitere Menschen an. Bei der britischen Variante sind es dann aber schon vier Personen. Bislang kann niemand abschätzen, welche Mutationen noch entstehen.

Das Problem sind die sogenannten Escape-Varianten von Sars-CoV-2. Sie entstehen, wenn ein Teil der Bevölkerung schon geimpft ist, das Virus aber unter den Nicht-Geimpften noch weiter kursiert – weil etwa die Kontaktbeschränkungen zu früh gelockert werden oder auf Masken verzichtet wird.

"Die Escape-Varianten helfen dem Virus, der Wirkung des Impfstoffes zu entkommen."
Christina Sartori, Medizinjournalistin

Die Escape-Varianten sind Mutationen, die dem Virus helfen, der Wirkung des Impfstoffes zu entkommen oder diese zu umgehen. Bei den Varianten, die zuerst in Südafrika und Brasilien aufgetreten sind, hat sich dieser Mechanismus schon gezeigt.

Global denken

Die AHA-Regeln und der tägliche Blick auf die Inzidenzen werden uns also auch weiterhin begleiten. Wichtig sei, das Ganze immer global zu denken und nicht nur auf Deutschland zu beziehen, sagt Christina Sartori. Das aktuelle Beispiel Indien zeige, dass viele Länder deutlich hinter Deutschland, Europa, Großbritannien, Israel und den USA beim Impfen zurückliegen. Dort steige die Gefahr, dass Escape-Varianten des Virus entstehen - oder bereits entstanden sind.

Ein weiteres Problem: Auch wenn mit Nachdruck daran geforscht wird, gibt es noch keinen Impfstoff für Kinder und Jugendliche – damit wird in etwa für 2022 gerechnet. Außerdem gibt es überall Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Auch die tragen dazu bei, dass sich das Virus weiterverbreiten kann.

Herdenimmunität eine Illusion?

Und es gibt noch ein Problem: Eventuell werden wir nämlich nie eine Herdenimmunität erreichen, sagt Christina Sartori. Denn geimpfte Menschen können sich trotzdem noch mit dem Coronavirus infizieren und es weiterverbreiten, auch wenn sie selbst wahrscheinlich nicht schwer daran erkranken.

Außerdem sei noch nicht klar, wie lange Menschen, die bereits Covid-19 hatten, danach tatsächlich immun sind, also sich nicht mehr anstecken können. Es sind wohl einige Monate – ob es aber einige Jahre sind oder mehr, dafür liegen noch nicht keine Erfahrungswerte vor.

Unser Immunsystem stellt sich auf das Virus ein

Es könnte sein, dass sich das Virus immer weiterverbreitet, auch wenn "alle" Menschen irgendwann geimpft sein werden. Grund zur Verzweiflung gibt es aber nicht, erklärt Christina Sartori. Forschende rechnen zwar damit, dass Sars-CoV-2 endemisch wird – das Virus wird sich also festsetzen, so wie Grippeviren. Das Gute ist aber: Durch die Impfungen wird es irgendwann nur noch sehr selten zu schweren Verläufen von Covid-19 kommen.

"Es gibt keinen Grund zur Verzweiflung. Es wird auf jeden Fall besser!"
Christina Sartori, Medizinjournalistin

Im Laufe der Zeit werden mehr und mehr Menschen dem Virus nicht mehr völlig ungeschützt gegenüberstehen. Unser Immunsystem kennt das Virus dann und wird auch mit dessen Varianten besser umgehen können als jetzt.

Shownotes
Corona
Warum wir die Herdenimmunität vielleicht nie erreichen
vom 27. April 2021
Moderation: 
Diane Hielscher
Gesprächspartnerin: 
Christina Sartori, Medizinjournalistin