Die Tech-Community in der Ukraine ist groß. Viele ausgebildete Fachkräfte sind wegen des Krieges nach Deutschland geflohen. Jetzt planen sie, hier Ableger ihrer ukrainischen Start-ups zu gründen. Für Deutschland könnte das eine große Chance sein, sagen sie.

Als die Ukrainerin Larissa Monakowa nach Deutschland gekommen ist, hat sie sich gewundert, wie viel Post sie jeden Tag in ihrem Briefkasten hat: Von der Ausländerbehörde, vom Bürgeramt und auch Jobcenter – jeder Antrag, jedes Schreiben kam auf einem extra Blatt Papier zu ihr nach Hause.

In Kiew war das anders. Da kam so selten ein Brief noch per Post bei ihr an, dass sie ihren Briefkasten ein Mal im Monat geöffnet hat, erzählt sie. Larissa Monakowa ist wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nach Deutschland geflohen und lebt aktuell in Berlin. "Ich glaube, jeder Flüchtling aus der Ukraine hat gemerkt, dass die Ukraine digital entwickelter ist als Deutschland. Wir haben alles auf dem Smartphone", sagt sie.

IT-Land Ukraine

In der Ukraine ist die Verwaltung seit Jahren digital. Für Anträge, Schreiben und viele amtliche Dokumente gibt es die App der Regierung. Da ist zum Beispiel auch der Personalausweis drauf. Und auch sonst ist die Ukraine mit ihrer digitalen Infrastruktur anderen Ländern wie Deutschland weit voraus. Vor dem russischen Angriffskrieg hat die Ukraine IT-Dienstleistungen in Milliardenhöhe exportiert, die Wachstumsrate der Branche lag bei mehr als 20 Prozent pro Jahr.

Ukrainische IT-Fachkräfte in Deutschland

Durch den Krieg sind Zehntausende Menschen mit IT-Berufen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Manche von ihnen möchten ihr digitales Know-how auch hier an den Start bringen. Larissa Monakowa ist eine von ihnen. Sie hat vor dem Krieg als IT-Entwicklerin und Daten-Analystin in Kiew gearbeitet. In Berlin konnte sie bisher noch keinen Job finden – obwohl Fachkräfte wie sie gesucht werden. Der Grund: fehlende Deutschkenntnisse. Dafür macht sie jetzt einen Sprachkurs.

Andere ukrainische ITler planen, Ableger ihrer Start-ups auch nach Deutschland zu bringen. "Mehr als 4000 Leute aus der Tech-Industrie sind aus der Ukraine nach Berlin gekommen. Sie leben hier, sie haben sich registrieren lassen, sie zahlen hier Steuern. Außerdem haben wir viele Start-ups in der Ukraine. Für sie ist es zurzeit allerdings nicht sicher, Büros dort zu haben", sagt Iryna Volnytska, Gründerin der ukrainischen Online-Uni SET. Jedes dritte IT-Unternehmen in der Ukraine habe nach dem Angriffskrieg mittlerweile Standorte im Ausland eröffnet. Zehn Prozent davon in Deutschland.

Für die Tech-Community aus der Ukraine hat die ukrainische Online-Uni ein Treffen im Humboldt-Forum in Berlin organisiert. Iryna Volnytska sagt, dass es nur in wenigen anderen Ländern so viele so gut ausgebildete IT-Menschen wie in der Ukraine gebe.

"Jedes dritte ukrainische IT-Unternehmen hat nach Kriegsbeginn Büros im Ausland eröffnet – zehn Prozent davon in Deutschland."
Iryna Volnytska, SET University

Die Chancen für Deutschland

Auf dem Treffen hält auch Nina Levchuck einen Vortrag. Sie hat schon mehrere Start-ups in Deutschland und den USA gegründet und leitet in Berlin eine Firma für IT-Lösungen in der Logistik.

Vor dem Krieg war das ein kleines Büro mit drei Mitarbeiter*innen. Der Großteil ihres Teams hat in der Ukraine und Russland gearbeitet. Seit dem Krieg sind die meisten von ihnen nach Berlin gekommen, sagt sie. "Deutschland kann davon massiv profitieren. Es kommen smarte Leute nach Deutschland, es kommt ein regelrechter Brainflow nach Deutschland. Das Ganze führt im Ergebnis zu mehr Wirtschaftswachstum", so Nina Levchuck.

Eine der ukrainischen IT-Firmen, die in den vergangenen Monaten in Deutschland einen neuen Standort eröffnet hat, ist Grammarly. Die App für englische Rechtschreibung hat ihren Sitz zwar in den USA, wurde aber von Ukrainer*innen gegründet und hat ihr Entwicklungsbüro in Kiew. In Berlin soll jetzt die neue Europazentrale der App entstehen, so der Plan.

Shownotes
Digitalisierung
Ukrainische Tech-Community könnte Deutschland helfen
vom 06. Oktober 2022
Autor: 
Manfred Götzke, Deutschlandfunk Nova