Queere Menschen können ja diskret leben und so die Risiken umgehen, verfolgt oder bedroht zu werden. Das war lange eine Richtlinie in Deutschland zur Asylvergabe. Das Bundesinnenminsterium hat sie jetzt geändert.
Menschen suchen aus unterschiedlichen Gründen in Deutschland Schutz und beantragen Asyl. Zum Beispiel, weil sie in ihren Heimatländer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden.
Bisher galt in Deutschland: Wenn diese Menschen in ihren Heimatländer unauffällig leben, sodass praktisch niemand davon mitbekommt, dass sie zum Beispiel schwul oder lesbisch sind und sie deshalb auch keine Verfolgung oder Repressionen zu befürchten haben, dann bekommen sie in Deutschland auch kein Asyl.
"Uns hat die Änderung sehr gefreut."
Politiker und Nichtregierungsorganisationen haben dieses Vorgehen lange kritisiert und gefordert: Wenn queere Menschen in ihren Heimatländer nicht offen leben können, weil ihnen dann Verfolgung oder zum Beispiel Gefängnis droht, dann sollten sie in Deutschland Asyl erhalten.
Dieser Forderung ist das Bundesinnenministerium im September nachgekommen und hat per sogenannter Dienstanweisung eine neue Regel erlassen. Jetzt soll geprüft werden, wie gefährlich es für queere Menschen wäre, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren und dort offen leben würden.
Konsequente Umsetzung dauert noch
Patrick Dörr, Mitglied des Vorstands des Lesben- und Schwulenverbands, begrüßt die neuen Kriterien, die für die Asylentscheidung gelten. Gleichzeitig verweist er auf strukturelle Lücken, die die Umsetzung der neuen Regel erschweren. Denn:
Die Frage, wie gefährlich es für queere Menschen in ihren Heimatländer ist, wenn sie ihre sexuelle Orientierung oder ihre geschlechtliche Identität offen leben und zeigen, ist laut Dörr oft nicht einfach zu beantworten. "Das wird ja nicht im Einzelfall geklärt", sagt er und verweist auf die länderspezifischen Leitlinien, die den Asylsachbearbeiter*innen als Entscheidungsgrundlage dienen. Diese müssten jetzt überarbeitet und ergänzt werden und eine Orientierung liefern, wie gefährlich es für queere Menschen sein könnte, wenn sie sich nicht verstecken.
Informationen für die länderspezifischen Leitlinien stammen zum Beispiel von Menschenrechtsorganisationen und den Botschaften vor Ort. Patrick Dörr fordert, dass diese jetzt ergänzt werden müssten mit einer Einschätzung darüber, wie gefährlich es für queere Menschen sein kann. "Diese Frage wird jetzt zentral sein für die Asylanträge", sagt er.
"In den Länderleitsätzen muss drin stehen, wie gefährlich ein offener Umgang mit der sexuellen Orientierung wäre."
Neben dieser Frage gibt es für das Asylverfahren aber noch eine andere: Wird der Person überhaupt geglaubt, dass sie schwul, lesbisch, bi oder trans ist? Eine Befürchtung von Patrick Dörr: Einen Asylantrag abzulehnen könnte jetzt vermehrt damit begründet werden, dass die queere sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität erfunden sei. Deswegen sei es wichtig, dass es für queere Geflüchtete zum Beispiel durch Interessensverbände eine besondere Rechtsberatung gebe.