Amsterdam erhöht die Zahl öffentlicher Toiletten für Frauen. Vier Millionen Euro sollen investiert werden, die ersten neuen Toiletten sollen noch dieses Jahr aufgestellt werden. Vorausgegangen waren ausdauernde Wildpinkel-Protestaktionen – der Auslöser liegt schon fast zehn Jahre zurück.

Wer lange wildpinkelt, wird endlich erhört: 2015 hatte die Studentin Geerte Piening wegen Wildpinkelns eine Strafe von 90 Euro aufgebrummt bekommen. Sie war nach dem Feiern auf dem Nachhauseweg, musste dringend – doch laut Eigenaussage war keine öffentliche Damentoilette in der Nähe.

"In der Stadt Amsterdam gibt es 35 öffentliche Männertoiletten, aber nur zwei für Frauen. Zum Zeitpunkt der Tat befand ich mich zwei Kilometer von der nächsten Frauentoilette entfernt."
Geerte Piening 2015 vor Gericht

35 öffentlichen Männertoiletten ständen zwei für Frauen gegenüber, hatte die Studentin damals bemängelt. Doch statt auf die Straße zu pinkeln, hätte sie ja auch ans Urinal gehen können, fand der Richter – und ließ sie nicht ohne Bußgeld davonkommen.

Wildpinkeln für mehr Geschlechtergerechtigkeit

Dieses Urteil hat dann sozusagen die Blase zum Überlaufen gebracht: Seitdem gab es immer wieder Protestaktionen, bei denen Frauen demonstrativ in Pissoirs oder auf Gehwege gepinkelt haben, berichtet Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Anne-Katrin Eutin. Unter dem Hashtag #zeikwijven ("Pissweiber") findet sich dazu Bildmaterial auf Instagram und X.

In der öffentlichen Debatte ging es dann aber schnell nicht mehr nur um mehr öffentliche Toiletten für Frauen, sondern generell um das Problem, dass öffentliche Infrastruktur in den allermeisten Fällen von Männern gemacht wird – und dadurch eben auch für Männer:

  • bestimmte Parks, in denen sich besonders Frauen im Dunkeln unwohl fühlen
  • Gehwege, die oft zu eng für Kinderwägen, die de facto immer noch häufiger von Frauen geschoben werden als von Männern, sind
  • Städte, die generell eher für Autos geplant werden. Frauen gehen dort aber oft mehr zu Fuß und nutzen häufiger öffentliche Verkehrsmittel, wenn sie etwa ihr ihre Kinder zur Kita oder Schule bringen, danach noch einkaufen gehen oder irgendwo etwas abholen ("Trip Chaining").

Weil Stadtplaner aber oft eher männlich und voll berufstätig sind, denken sie so etwas häufig nicht mit – auch weil sie meistens mit dem Auto zur Arbeit fahren.

Gender Planning frühzeitig mitdenken

Die Stadtforscherin Mary Dellenbaugh-Losse berät Kommunen, um genau das zu ändern. Sie plädiert für Lösungen, die für ganz verschiedene Gruppen praktikabel sind – für diejenigen, die die Oma zum Arzt begleiten oder das Kind in die Kita bringen genauso wie für die Menschen, die "nur" zur Arbeit fahren.

"Wir machen Quartiere, die alltagstauglich sind – und zwar für ganz unterschiedliche Nutzer*innen-Gruppen."
Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin

Eine Vorzeigestadt des Gender Planning – das schon in den 70er-Jahren aufkam – sei Wien, sagt Mary Dellenbaugh-Losse. In Deutschland gebe es noch großen Bedarf, aber immerhin steige das Interesse.

Vorschlag: Diversere Gremien

Dass in Amsterdam jetzt mehr Toiletten für Frauen nachgerüstet werden, sei ein "Pflaster auf einer Schürfwunde" – eigentlich dürfe es aber gar nicht erst zur Wunde kommen: Wenn die städtischen Gremien zum Beispiel zur Hälfte aus Frauen bestehen, würde es solche Entscheidungen erst gar nicht geben, glaubt sie.

"Diversere Augen sehen diversere Probleme und haben diversere Lösungen."
Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin

Es geht aber gar nicht "nur" um mehr Frauen, sondern generell um diversere Perspektiven in der kommunalen Stadtplanung – etwa was Menschen mit und ohne Behinderung betrifft oder verschiedene Altersgruppen: Wenn die Frage ist, wie hoch ein Bordstein sein soll, dann wird eine Oma natürlich eine andere Antwort haben als der Bürgermeister, so die Stadtplanerin.

Shownotes
Gleichberechtigung bei öffentlicher Infrastruktur
Amsterdam: Wildpinklerinnen protestieren mit Erfolg
vom 17. April 2024
Moderation: 
Till Haase und Sebastian Sonntag
Gesprächspartnerin: 
Anne-Katrin Eutin, Deutschlandfunk Nova