Ausgelacht, beleidigt, ein Shitstorm in Netz – alles nur weil ein junger Journalist die Hare-Krishna-Bewegung nicht kannte. Seit dem peinlichen Fehler des Bild-Reporters trendet der Hashtag #HarryKrischner – ein Phänomen, das viel über die Mechanismen von Häme im Netz und unseren verräterischen Bildungsstolz verrät.
Es ist Samstagabend. In ihrem Live-Kanal schaltet die Boulevardzeitung Bild live zur Hygienedemo nach Berlin. Vor dem Brandenburger Tor steht der Reporter. Hinter ihm tanzen dicht gedrängt Anhänger der Hare-Krishna-Bewegung, die vor allem in den 70er und 80er Jahren ihren Höhepunkt hatte. Lautstark singen sie ihr Mantra.
Der Bild-Reporter beschreibt die Stimmung – auch gibt er offen zu, dass er die Bewegung nicht kennt, und nur von Kollegen darüber gehört habe. Aus Unwissenheit sagt er dann: "Harry Krischner" anstatt "Hare Krishna."
"Hier tanzen die Menschen und singen Harry Krischner. Ich persönlich kenne ihn nicht. Meine Kollegen haben mir gerade berichtet, er soll eine berühmte Persönlichkeit sein."
Hashtag geht viral
Nicht einmal 24 Stunden später trendet der Hashtag #HarryKrischner in
den sozialen Medien – und landet unter den Top-5 der Trending-Topics.
Ein Ausrutscher eines jungen Journalisten, der dann direkt tausendfach geteilt und geliket wird.
Ingrid Brodnig ist Digital- und Netzexpertin. Dass der Reporter so viel Gelächter über sich ergehen lassen muss, habe auch mit seinem Arbeitgeber zu tun, vermutet sie. Das Boulevardblatt sei selbst nicht gerade zurückhaltend in seiner Tonalität. Wenn einem Bild-Reporter ein Fehler passiere, dann werde umso lauter gelacht, so Ingrid Brodning.
"Dass dann so viel Gelächter, vielleicht auch Häme dazu kam, liegt natürlich auch daran, dass es einem Reporter der Bild-Zeitung passiert ist."
Für Bildungsphilosophin Rita Molzberger sind die Kommentare in den sozialen Netzwerken nicht nur hämisch, sondern offenbaren einen falschen Bildungsstolz. Die Verfasser und Verfasserinnen solcher Kommentare würden sich über jemand anderen erheben, weil sie einen Wissensvorsprung haben. Der anderen Person sprechen sie durch beleidigende Sprüche ihre Kompetenz und Würde ab, sagt sie.
"Das ist sehr hämisch. Wir amüsieren uns darüber, dass jemand anderem der Kontext fehlt, den wir haben."
Arroganz und falscher Stolz
Für Deutschlandfunk-Nova-Reporter Stephan Beuting geht es um die Frage nach der Relevanz von Kontext-Wissen und Bildung: "Wie breit, wie tief, was ist nötig, möglich, unverzichtbar." Das seien Aushandlungsprozesse, die dynamisch und je nach Standpunkt und Perspektive ganz unterschiedlich sind.
Heutzutage kennen viele junge Menschen vermutlich nicht die Hare-Krishna-Bewegung, sagt Stephan Beuting – im Gegensatz zu den älteren Generationen. Wer den Kontextmangel nutzt, um eine Person abzuwerten, sage das wenig über den Reporter, aber viel über die Weltsicht des Kommentierenden aus, so Deutschlandfunk-Nova-Reporter Stephan Beuting.
"Letztlich bin ich gebildet, wenn ich weiß, was ich weiß und was ich nicht weiß und auch wie ich Wissen erlange."
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