"Orrrrdeeeeer!" Sein Ruf nach Ordnung ist zum Markenzeichen im britischen Unterhaus geworden. John Bercow selbst wurde zum Protagonisten der Europabefürworter. Ein Blick auf den mächtigen Sprecherposten im britischen Parlament, der nun neu besetzt werden muss.

John Bercow ist im Streit um den Brexit zur Symbolfigur geworden. Der Sprecher des britischen Unterhauses hat am 31.10.2019 seinen letzten Arbeitstag. Fünf Männer und vier Frauen kämpfen nun um den Posten. Wir haben mit Christine Heuer über John Bercow im Speziellen und seine Aufgabe als Parlamentssprecher im Allgemeinen gesprochen. Insgesamt habe er immer ein Ohr für unauffälligere Abgeordnete gehabt und damit das Parlament als demokratisches Organ gestärkt.

"Vor allem hat er, und das ist das Entscheidende, den normalen Abgeordneten, den Hinterbänklern immer Gehör geschenkt. Damit hat er ein Klima geschaffen, das den Parlamentarismus insgesamt gestärkt hat."
Christine Heuer, Korrespondentin für Großbritannien

Sie sagt, John Bercow habe in seinen zehn Amtsjahren ernsthaft versucht, das Unterhaus zu modernisieren. Als erster Amtsträger habe er die Perücke nicht mehr aufgesetzt, eine Pflicht, die seine Vorgängerin abgeschafft hatte. Sie weist außerdem darauf hin, dass John Bercow sich erfolgreich für eine Betreuungsmöglichkeit für Kinder von Abgeordneten eingesetzt hat. Bis zu seinem Amtsantritt war er Mitglied in der konservativen Partei der Tories.

Die Aufgaben und Befugnisse des Sprechers im britischen Unterhaus sind ziemlich weitreichend. Sie gehen über die reine Moderation hinaus. Der Sprecher erteilt in der politischen Diskussion das Rederecht und beeinflusst entscheidend, welche Gesetze zur Abstimmung kommen und ob und welche Änderungsanträge zugelassen werden. Änderungsanträge der Brexiteers, also der Brexitbefürworter, habe John Bercow eher nicht zugelassen, sagt unsere Korrespondentin.

"Er ist der einzige, der das Rederecht erteilt. Das ist dann schon politische Gestaltungsmacht. Er ist der Herr darüber, ob Gesetze überhaupt zur Abstimmung gestellt werden."
Christine Heuer, Korrespondentin für Großbritannien

Sein Gehalt und seine Privilegien entsprechen dem für solche Positionen Üblichen, findet Christine Heuer. Die Arbeit des Sprechers wird mit rund 170.000 Euro jährlich vergütet und ihm steht eine Residenz zur Verfügungen. Ein Mitarbeiterstab, Dienstwagen und Sicherheitsleute gehören zu diesem Job nötigerweise dazu.

"Die Residenz nicht zu hoch bewerten. Die ist zwar wirklich sehr schön, aber da empfängt er Gäste, Gesprächspartner, da wohnt er nicht."
Christine Heuer, Korrespondentin für Großbritannien

John Bercows Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird aus der Mitte des Unterhauses gewählt. Da John Bercow verhindern wollte, dass ein neues Parlament einen Brexit-Hardliner auf diesen Posten wählt, hat er seinen Rücktritt auf den 31.10.2019 kurz vor Ende der Legislaturperiode gelegt. Dabei habe er also ein wenig getrickst, findet Christine Heuer.

Die Brexitbefürworter haben seine Arbeit immer wieder als parteiisch kritisiert. Sie haben John Bercow vorgeworfen, die Europafreunde im Parlament bevorzugt zu haben. Demenstsprechend kündigen nun alle potentiellen Nachfolgerinnen und Nachfolger an, dass sie unparteiisch und fair sein wollen.

In der Presse hinterließ John Bercows Arbeit ein geteiltes Echo. Die Brexitbefürworter machen John Bercow für persönlich Mitschuld am Brexit-Deaster. Jetzt sei er hinter dem Geld her und wolle sich teuer als Redner verkaufen.

"Die konservative, die rechte, die Brexit-begeisterte-Presse schickt ihm Flüche hinterher."
Christine Heuer, Korrespondentin für Großbritannien

Die liberale, europafreundliche, eher linke Presse in Großbritannien beurteilt ihn als jemanden, der in unruhigen Zeiten das Parlament vor der Regierung auch ein bisschen beschützt hat, damit es seine Arbeit ordentlich machen kann, sagt Christine Heuer.

Shownotes
Großbritannien
John Bercow geht – Abschied von "Mr. Speaker"
vom 31. Oktober 2019
Moderatorin: 
Diane Hielscher
Gesprächspartnerin: 
Christine Heuer, Korrespondentin für Großbritannien