Die Zahl der Menschen, die den Kleinen Waffenschein beantragt haben, ist in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen. Der Schein erlaubt unter anderem den Besitz von Schreckschusspistolen. Dadurch steige vor allem das Bedrohungs- und Gewaltpotential in der Gesellschaft, meint der Sozialpsychologe Ulrich Wagner.
Schwer, kühl und griffig – so beschreibt unser Reporter Stephan Beuting das Gefühl, als er eine Schreckschusspistole in einem Jagd- und Outdoorgeschäft in Siegburg in der Hand hält. Für Sekundenbruchteile laufen in seinem Kopf Filmszenen ab – von Tatort bis James Bond. Dennoch sagt ihm sein Verstand deutlich: "Nein, ich könnte niemals schießen." Doch es gibt Menschen, die sehen das scheinbar anders. Vor fünf Jahren hatten bundesweit noch 260.000 Menschen den Kleinen Waffenschein beantragt. Bis Juni diesen Jahres ist die Zahl der Anträge auf 640.000 gestiegen, so berichtet Rheinische Post.
Trügerischer Selbstschutz
Eine Schreckschusspistole kann beim Abfeuern entweder laut knallen oder eine Tränengaswolke verbreiten, erklärt Marc Mülln vom Siegburger Jagd- und Outdoorgeschäft. Auch bei ihm seien die Verkaufszahlen in den letzten Jahren gestiegen. Die Leute wüssten, dass sie einen Kleinen Waffenschein zum Führen von Schreckschusspistolen benötigen und würden den auch beantragen – sei es für Silvester oder für den Selbstschutz.
"Die einen wollen die Waffe für Silvester haben, die anderen für den Selbstschutz."
Eigentlich merkwürdig, dass viele glauben, dass sie mit so einer Waffe sicherer wären, findet unser Reporter. Das sieht auch die Gewerkschaft der Polizei ähnlich. Die Waffen würden nur eine trügerische Sicherheit oder höhere Verteidigungsbereitschaft suggerieren. Und genau das könne die Lage eskalieren lassen und den Nutzer möglicherweise selbst zum Straftäter machen. Auch Martina Baumgart vom Landeskriminalamt Hamburg sagt, dass sich die Gefahr im Ernstfall für alle Beteiligten erhöhe, wenn Laien sich bewaffnen.
Das Erstaunliche: Laut einer Statistik von Infratest dimap ist die Mehrheit der Deutschen für ein Verbot von Waffen und Munition in Privathaushalten. Trotzdem steigt die Zahl derer, die sich die Erlaubnis holen, Schreckschusswaffen zu führen. Das erstaunt auch den Sozialpsychologen und Gewaltforscher Ulrich Wagner. Denn schließlich sei die Zahl der gewalttätigen Übergriffe in der Straßenkriminalität zurückgegangen. Die Menschen müssten sich eigentlich sicherer fühlen, sagt er.
"In den vergangenen Jahren sehen wir in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik, dass die Zahl der gewalttätigen Übergriffe in der Straßenkriminalität zurückgeht. Eigentlich müssten die Menschen sich sicherer fühlen. Und hier läuft etwas schief."
Der Psychologe beobachtet ein Auseinanderdriften von tatsächlicher Sicherheit und gefühlter Bedrohung. Das könne viel damit zu tun haben, dass uns die Informationen, die wir vielfach aus dem Internet ziehen, in einer gewissen Art und Weise verängstigen und wir uns zunehmend bedroht fühlen, sagt er. Das könne dazu führen, dass wir glauben, vom Staat nicht mehr ausreichend geschützt zu werden.
Das Eskalationspotenzial steigt
Sich aus diesem Grund selbst zu bewaffnen, hält Wagner für eine sehr gefährliche Entwicklung. Alleine das Wissen, eine Waffe zu haben oder die Vermutung, der andere könnte eine haben, könne das Zusammenleben verändern. Das gegenseitige, gefühlte Bedrohungspotenzial werde so heraufgeschraubt und das Potenzial für Gewalteskalationen in der Gesellschaft begünstigt.
"Das Bewusstsein, selbst über Waffen zu verfügen, führt dazu, dass man Konflikte in Gesellschaften nicht mehr ausdiskutiert, sondern mit Gewalt austrägt."
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