Sich auf kreative Weise ausdrücken zu können, ist eine Frage von Talent. Aber nicht nur. Welche Faktoren noch wichtig sind beim kreativen Tun, beschreibt der Mediziner und Psychotherapeut Rainer M. Holm-Hadulla anhand der Biografien von Mozart, Picasso, Einstein, Madonna und Amy Winehouse.

"Alltäglich kreativ ist fast jeder!", sagt Rainer Matthias Holm-Hadulla. Wir alle kommen auf kreative Ideen, wenn es darum geht, unseren Alltag zu meistern und dabei Probleme zu lösen. Aber was ist mit außergewöhnlich kreativen Menschen? Woher nehmen die ihre Kreativität? Der Mediziner und Psychotherapeut sagt, Interesse oder Talent alleine reichen nicht aus. Um in der Lage zu sein, Großes zu schaffen, müssten noch einige andere Faktoren gegeben sein.

"Das Kreative ist nicht Spaß. Oder: nicht nur Spaß."

Die großen Fünf der Kreativität sind laut Rainer Matthias Holm-Hadulla:

  • allgemeine Begabung und besondere Talente
  • Wissen und Können
  • Motivation + Disziplin
  • Persönlichkeitseigenschaften
  • fördernde / fordernde Umgebung

So sei Mozart seiner Ansicht nach nicht zu verstehen, wenn man nur von der Begabung ausgehe. Mozart habe sich sein umfassendes musikalisches Wissen und Können mit großem Fleiß erarbeitet, zudem im familiären Umfeld die ideale Umgebung, Förderung und Unterstützung erfahren.

"Auch dieses Genie par excellence braucht 30 Jahre Üben, Musizieren, Arbeiten."

Es gibt keine Begabung ohne Umwelt

Rainer Matthias Holm-Hadulla meint, die Rede von so etwas wie einem "Kreativitäts-Gen" sei Unsinn. An sogenannte Wunderkinder mag er nicht glauben. Auch ein Jahrhundert-Talent wie Picasso habe zunächst konventionell, wenig originell gearbeitet. Bei Picasso wie auch bei anderen Künstlerinnen und Künstlern sieht Rainer Matthias Holm-Hadulla Phasen, Krise und große Verzweiflung, die sie dann in große Kunst transformiert hätten.

Wenn Menschen kreativ werden, liegt dem laut Rainer Matthias Holm-Hadulla eine Dialektik von Ordnung und Chaos zugrunde. Wobei es für manche sehr kreative Menschen keineswegs hinderlich sein muss, ein sehr geregeltes Leben zu führen oder einen eher nicht sehr kreativen Brotberuf auszufüllen. Goethe zum Beispiel habe gerade vor dem Hintergrund eines fordernden Alltagsgeschäftes große Werke schaffen können.

"Der Druck der alltäglichen Geschäfte tut der Seele ganz wohl. Sie spielt dann umso freier."

Kreative Menschen brauchen konzentriertes Arbeiten ebenso wie Ablenkung, sagt der Forscher. Es brauche ein gutes Gleichgewicht zwischen Struktur und Freiraum, zwischen Konzentration und Distraktion. Kreativitätstheoretisch sei Ablenkung richtig und wichtig, da durch sie lange Faserbahnen im Hirn aktiviert würden, die für kombinatorisches Denken verantwortlich sind.

"Wenn Sie an einer schwierigen Aufgabe arbeiten, ist der Blick aus dem Fenster aus Sicht der Neurobiologie genau das richtige."
Rainer Matthias Holm-Hadulla

Folgende Faktoren beschreibt er als Kreativitätshemmnisse:

  • destruktive Kritik
  • ungeeignete Rahmenbedingungen
  • destruktiver Wettbewerb
  • Frustrationsintoleranz
  • mangelnde Medienkompetenz
  • hoher Drogenkonsum

Rainer Matthias Holm-Hadulla ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Professor für Psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg. Er hat zahlreiche Bücher zur Kreativität veröffentlicht, zum Beispiel "Kreativität – Prinzipien und Anwendungen", "Die kreative Bewältigung von Verzweiflung, Hass und Gewalt“ und "Leidenschaft – Goethes Weg zur Kreativität“.

Seinen Vortrag mit dem Titel "Kreativität. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen" hat er am 24. April 2022 auf Einladung der Universität Mainz gehalten, im Rahmen der Vorlesungsreihe "Heureka! Kreativität oder wie das Neue entsteht".

Shownotes
Kreativität
Was Amy Winehouse und Albert Einstein kreativ gemacht hat
vom 27. Juli 2023
Moderation: 
Katja Weber
Vortragender: 
Rainer Matthias Holm-Hadulla, Mediziner und Psychotherapeut Universität Heidelberg
    Quellen aus der Folge: