Unser Gehirn verarbeitet nicht jede Information im gleichen Tempo: Für einen sensorischen Reiz braucht es nur wenige Milli-Sekunden, für die Lösung eines Problems sehr viel mehr Zeit. Eine Studie hat nun herausgefunden, woran das liegt.

Wenn wir uns den Zeh stoßen, spüren wir schon kurz danach den Schmerz. Zwischen Reiz und der Verarbeitung verstreicht jedoch eine kurze Zeit: Der Schmerz muss erst einmal im Gehirn ankommen, erklärt Neurowissenschaftler Henning Beck. Der Schmerz-Reiz ist dabei der langsamste Reiz im Körper: Mit 50 km/h macht er sich auf den Weg zum Gehirn. Zum Vergleich: Nervenimpulse innerhalb des Gehirns selbst sind mit 400 km/h unterwegs.

"Wenn der Schmerz aber erst einmal im Gehirn angekommen ist, dann wird er sehr schnell verarbeitet. Ganz anders sieht das aus, wenn wir Pläne schmieden oder Entscheidungen treffen müssen."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Ein Reiz wird also schnell verarbeitet. Wenn wir aber ein Problem lösen oder eine Entscheidung treffen müssen, brauchen wir sehr viel länger als einige Milli-Sekunden. Bei diesen Prozessen sind andere Gehirnareale aktiv.

Warum wir dabei in unterschiedlichen Zeitskalen denken und wahrnehmen, hat eine Studie der Uni Tübingen untersucht. Sie hat herausgefunden: Es liegt nicht daran, dass die Neuronen unterschiedliche Eigenschaften haben, sondern an der Struktur des Netzwerks, in dem die Information verarbeitet wird.

Auf die Verschaltung der Nervenzellen kommt es an

Die Areale, in der sensorische Reize verarbeitet werden, vergleicht der Neurowissenschaftler mit einer Großstadt: Dort kommen wir schnell von A nach B, die Wege sind sehr kurz und gut vernetzt. Andere Areale im Gehirn haben eine andere Architektur: Die Verbindungen sind großflächiger und die Gedankengänge sind langsamer.

"Erreicht ein Reiz unser Gehirn wird er in den Arealen verarbeitet, die gut vernetzt sind und schnell arbeiten, damit wir schnell reagieren. In einem zweiten Schritt wird er an die Areale des Gehirns geschickt, die uns eine Reflektion darüber ermöglichen."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Unser Gehirn arbeitet also in unterschiedlichen Zeitskalen. Das macht auch Sinn, denn schließlich müssen wir bei einem Reiz schnell reagieren können.

Wenn wir etwa ein Lied hören, werden die Töne schnell im Gehirn verarbeitet. Welche Erinnerungen es aber in uns weckt, was wir damit verbinden oder zu was es uns inspiriert, wird in anderen Gehirnarealen verarbeitet, die kleinteiliger verschaltet sind.

"Gewagtes und tiefes Nachdenken braucht Zeit – wir sollten diesen Prozess überhaupt nicht beschleunigen wollen."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Beschleunigen können wir diesen Prozess nicht – und sollten wir auch gar nicht wollen, findet Henning Beck. Sein Rat: Gute Ideen brauchen Zeit, die wir unserem Gehirn geben sollten.

Shownotes
Neurowissenschaft
Mal Highspeed, mal langsam: Unser Denken passt sich an
vom 15. April 2023
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Henning Beck, Neurowissenschaftler